Bundesvorsitzender beantwortete Fragen von TV-Sender

Günter Lühning im Live-Interview mit NDR-Moderator Peter von Sassen 2015

Immer öfter widmen sich regionale und überregionale Medien ebenso wie Fernsehsender den Zukunftsthemen des ländlichen Raumes. Bei Fragen zur Sicherung der Nahversorgung ist die Dorfladen-Bundesvereinigung dann vielfach Ansprechpartner für interessierte Journalisten. Kürzlich beantwortete Bundesvorsitzender Günter Lühning wieder zahlreiche Fragen – die wir nachfolgend mit den Antworten hier veröffentlichen.

- Wie kamen Sie zu ihrem Engagement für dieses Thema?

Dorfladen Otersen – seit 1.4.2001

Im Sommer 2000 teilte mir die Inhaberin des letzten Lebensmittelgeschäftes in meinem Heimatdorf Otersen mit, das sie Ende März 2001 (dann 67-jährig) aus Altersgründen den kleinen Edeka-Laden schließen wollte. Ich war damals schon Kommunalpolitiker und gründete einen Arbeitskreis, um über die Konsequenzen und Alternativen zu beraten. „Eigeninitiative statt Unterversorgung“ wurde schnell zu unserem Motto. 3 Bürgerversammlungen wurden durchgeführt und am Konzept gearbeitet. Am 6.12.2000 kam es zum Schwur: Bei unserer Gründungsversammlung war das Ziel 35.000 € Eigenkapital von den Bürgern einzuwerben. Nach zweieinhalbstündiger Versammlung waren es dann sogar 51.500 € von 63 Gründungsmitgliedern. Am 31.3. schloss der Edeka-Laden aus Altersgründen und am 1.4.2001 eröffneten wir unseren Bürgerladen als Selbsthilfeeinrichtung. Aktuell sind wir 150 Mitglieder (Haushalte) in einem 500 Einwohner-Dorf mit 110.000 Euro eingebrachtem Eigenkapital für unsere Vereins-eigene Dorfladen-Immobilie mit Café. 2016 wurde unter meiner Federführung in Berlin die Dorfladen-Bundesvereinigung gegründet – mit aktuell über 70 Mitgliedern aus 10 Bundesländern. Ziel ist der Erfahrungsaustausch unter den Dorfläden und die

Interessenvertretung. 
- Welche Bedeutung haben Dorfläden für die Menschen vor Ort?
Die modernen Dorfläden haben mit den „Tante Emma-Läden“ vergangener Jahrzehnte nicht mehr viel zu tun. Die heutigen Dorfläden sind immer öfter Regionalwaren-Läden, kleine Vollsortimenter mit 1.500 bis 3.000 verschiedenen Artikeln auf 80 bis 200 qm Verkaufsfläche – sie sind Bioladen, Dienstleister und Multifunktionshaus. Immer öfter gehören kleine oder größere Cafés mit zu den Dorfläden, die sich längst vom kleinen
Lebensmittel-Markt zum Lebens-Mittelpunkt für die Menschen aus allen Generationen im Dorf entwickelt haben.
 - Können Sie einen Trend zu Dorfläden feststellen?
Der Negativ-Trend mit den Ladenschließungen und dem Rückgang von 160.000 Lebensmittelläden 1970 auf aktuell unter 38.000 führte zu einer Gegenbewegung – der Gründung von bürgerschaftlich oder kommunal organisierten Dorfläden. Wir stellen im Niedersächsischen Netzwerk und auch in der Bundesvereinigung fest, das immer mehr engagierte Einwohner, Kommunalpolitiker und Bürgermeister es leid sind, sich von den großen Konzernen vorschreiben zu lassen, wie weit die Menschen auf dem Lande zum Einkaufen fahren müssen. Eigeninitiative für die Nahversorgung statt weit entfernt-Versorgung ist die Zielsetzung viel kreativer und engagierter Dorfgemeinschaften. In Niedersachsen wurde im März 2018 der 22. Dorfladen neu eröffnet. Weitere Gründungsinitiativen stehen in den Startlöchern. In Bayern gibt es bereits 160 Bürgerläden und bundesweit steuern wir auf 300 zu.
- Wie funktionieren der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den Läden und mit dem Netzwerk?
Wir leisten Unterstützung in der Informationsphase und durch Vorträge bei Bürger- und Gründungsversammlungen, vermitteln qualifizierte Berater für Machbarkeitsstudien und vermitteln auch mittelständische Großhändler, die das Geschäft der kleinen Nahversorger kennen und unterstützen. Der Erfahrungsaustausch funktioniert im wesentlichen über unser Internetportal, geschlossener Intranetseiten, über Facebook und Twitter. Am 9. Mai werden wir für unsere Mitgliedsbetriebe erstmals ein Webinar, ein 1 1/2 stündiges Seminar per Internet anbieten. 
- Inwiefern gibt es auch Unterstützung von Bund und Ländern?

Die finanzielle Unterstützung von der kommunalen Ebene, über die Bundesländer bis hin zu EU-Förderprogrammen ist unterschiedlich. Die Fördermöglichkeiten hängen davon ab, ob gerade eine Dorferneuerung und ein Dorfentwicklungsprogramm durchgeführt wird oder das Dorf gerade zu einer EU-Leader-Förderregion gehört. Fördermittel gibt es grundsätzlich nur für Investitionen und sind i.d.R. mit einer 12-jährigen Zweckbindung versehen.

Einige Dorfladen-Neugründungen mussten sogar ganz ohne Fördermittel auskommen – zum Beispiel der Dorfladen Bolzum bei Sehnde in der Region Hannover. Die Eröffnung erfolgte zwischen zwei Förderperioden.
Leider werden Dorfladen-Investitionen bei den Fördersätzen benachteiligt. Obwohl Dorfläden
  • eine sozio-kulturelle Funktion haben,
  • nicht nur den Mitgliedern, sondern der Allgemeinheit dienen – also „gemeinnützig“ sind
  • i.d.R. keine Ausschüttungen an Mitglieder ausschütten
  • als Selbsthilfeeinrichtung kaum einem Selbstständigen Konkurrenz machen (sonst gäbe es ja kaum einen Bedarf für Bürgerläden) hat es noch kein Dorfladen-Verein zur Anerkennung der Gemeinnützigkeit geschafft. Folge: Dorfladen-Investitionen werden wie private Antragsteller nur mit 30 Prozent der förderfähigen Kosten bezuschusst, während als gemeinnützig anerkannte Sport- und Kulturvereine je nach Finanzkraft der Heimat-Kommune mit 53 bis über 70 Prozent gefördert werden.
- Wie gehen die meisten vor, wenn Sie einen neuen Dorfladen planen?
Am Anfang steht immer die Informationsphase und der Besuch eines Bürgerladens. Der 2001 eröffnete Dorfladen Otersen bei Verden ist Sitz der Bundesvereinigung, hat seit vielen Jahren eine Wissenstransferstelle etabliert und bekommt immer öfter Besuch von Gründungsinitiativen aus Niedersachsen und den benachbarten Bundesländern. Es folgen Bürgerversammlungen, Arbeitskreis-Gründungen, intensive Arbeit an indivi-duellen Konzepten. Vor der Eröffnung kommt dann die intensive Umsetzung. Wichtig sind Soll-Bruchstellen im Gründungsprozess, ehrliche Machbarkeitsstudien und das Abwägen von Chancen und Risiken – damit kein Bürger- oder staatliches Geld in wenig Erfolg-versprechende Projekte fließt.
 
- Welche Probleme gibt es häufig bei Planung/Gründung/Betreiben eines Ladens
Wenn die Dorfgemeinschaft nicht ausreichend zusammenhält und die Bürger den Mehrwert eines Dorfladens vor Ort nicht wertschätzen, dann wird es schwierig. Nicht Erfolg-versprechend wird es auch, wenn kein geeignetes Gebäude möglichst
in der Dorfmitte an der Durchgangsstraße gefunden werden kann oder eine zu hohe Miete gezahlt werden müsste. Wichtig ist auch ein leistungsstarker Großhändler als Hauptlieferant und möglichst viele regionale Zulieferer von guten Lebensmitteln
aus bekannter Herkunft. Nach der Dorfladen-Eröffnung kommt es auch ganz wesentlich auf engagiertes Verkaufspersonal im Dorfladen an, die auch das „Lebensmittel Menschlichkeit“ verkaufen. Sozialromantik hilft beim Dorfladen-Betrieb nicht weiter. Eine angemessene betriebswirtschaftliche Führung des Dorfladens ist ebenso erforderlich wie der ständige Wille zu Optimierungen.

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