12 € Mindestlohn würde für Dorfladen-Schließungswelle sorgen – Offener Brief an Bundespolitik

Berlin. „Wir würden den engagierten Dorfladen-Mitarbeitern gerne 12 € Stundenlohn zahlen, befürchten nach den Forderungen von drei SPD-Bundespolitikern bei der geforderten Erhöhung des Mindestlohns auf 12,00 Euro aber eine massive Schließungswelle bei kleinen Lebensmittelgeschäften auf dem Lande“, betont die Bundesvereinigung multifunktionaler Dorfläden. Deren Vorsitzender Günter Lühning hat jetzt einen offenen Brief an die Partei- und Fraktionsvorsitzenden im Bundestag und an die neue Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ geschrieben.

Zum 1.1.2019 steigt der Mindestlohn von derzeit 8,84 € auf künftig 9,19 €. Ende Oktober hatten die SPD-Bundesminister Olaf Scholz und Hubertus Heil sowie Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann mit Forderungen nach 12 € Mindestlohn für Schlagzeilen gesorgt.

Bei den von engagierten Bürger-Initiativen geführten Dorfläden sorgten diese Schlagzeilen für große Sorgenfalten: „Das wäre das Aus für unseren Dorfladen“ – „Spätestens in 1 oder 2 Jahren würde das unsere Insolvenz bedeuten“ – das war der fast einheitliche Tenor der Umfrage, die von der 2016 gegründeten Dorfladen-Bundesvereinigung durchgeführt wurde. Auf Basis der Umfrageergebnisse befürchte ich „die Schließung  von wahrscheinlich mindestens 70 % aller Dorfläden“, so Bundesvorsitzender Günter Lühning.

Weil sich die großen  Supermarkt- und Discounter-Ketten immer öfter aus den Dörfern mit weniger als 3.000 Einwohnern zurückziehen, setzte vor zwanzig Jahren eine Gegenbewegung ein. Einwohner auf dem Lande nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand und gründeten multifunktionale Dorfläden – oftmals mit einem Café als Dorf-Treffpunkt. Die Dorfeinwohner investierten eigenes Geld, erbringen Eigenleistungen bei Baumaßnahmen und stützen den laufenden Betrieb durch ehrenamtlichen, kostenfreien Arbeitseinsatz, damit diese Selbsthilfeeinrichtungen zumindest eine schwarze Null erwirtschaften und Stundenlöhne in der Regel zwischen Mindestlohn und 11 € an die hauptamtlichen Mitarbeiter zahlen können. Fast dreihundert dieser Selbsthilfe-einrichtungen gibt es inzwischen in Deutschland.

„Eine Mindestlohn-Erhöhung auf 12 € bedeutet für uns 29.000 € höhere Personal-kosten. Um diese Mehrkosten decken zu können müssten wir unseren Jahresumsatz um 116.000 € steigern“, berichtete ein Dorfladen aus Bayern – sieht dafür im 520 Einwohner-Dorf aber kein Potenzial“. Bei einem anderen Dorfladen würden die Mehrkosten bei 12 € Mindestlohn für einen Jahresverlust von 18.000 € sorgen, der dann zur Insolvenz führen würde.

Ein sprunghafter Anstieg des Mindestlohns auf 12 € würde das „Aus für sehr viele Bürgerläden bedeuten, deren Eigentümer auf Gewinnausschüttungen verzichten und zusätzlich noch ehrenamtlich engagiert sind. Nach Schließung vieler Bank- und Post-Filialen, Bäcker- und Fleischer-Fachgeschäfte sowie Dorfgasthäuser würde sich die Abwärtsspirale für die Menschen auf dem Lande weiter beschleunigen und immer mehr Dorf-Einwohner würden sich zunehmend „abgehängt“ fühlen.  Um genau das zu verhindern zahlt das österreichische Bundesland Voralberg an 48 kleine Lebensmittel-geschäfte im ländlichen Raum südlich des Bodensees jetzt auch Betriebskosten-Zuschüsse in Höhe von 780.000 € für 2018 und somit durchschnittlich 16.000 € pro Dorfladen, um „möglichst gleichwertige Lebensverhältnisse  in Stadt und Land zu ermöglichen, so Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP).

Der offene Brief der Dorfladen-Bundesvereinigung an die Bundespolitik enthält auch Empfehlungen und Forderungen. Parallel zur Mindestlohn-Erhöhung sollten die Lohnobergrenzen (450 € monatlich) für Mini-Jobber erhöht werden, damit bei gleicher Stundenzahl auch mehr Geld auf dem Konto der Mini-Jobber ankommt. Gleiches wird für die Betragsgrenzen für Sachleistungen wie Belegschaftsrabatt empfohlen.

Weil Dorfläden nicht nur Dorfversorger, sondern oftmals die letzte Begegnungsstätte im Dorf mit sozialen Funktionen  sind, fordert Bundesvorsitzender Günter Lühning die Anerkennung der Gemeinnützigkeit und somit unter bestimmten Voraussetzungen die Gleichstellung mit Kultur- und Sportvereinen. Notwendig sei im übrigen endlich eine passende Rechtsform für kleine Unternehmen mit 100 und mehr Eigentümern, die als Selbsthilfeeinrichtungen geführt werden.

Parallel zu den zu erwartenden deutlichen Mindestlohn-Erhöhungen seien auch Betriebskosten-Zuschüsse nach dem Voralberger Modell für den letzten Nahversorger im Dorf notwendig. „Das wäre ein wesentlicher Beitrag zu den im Grundgesetz verankerten gleichwertigen Lebensverhältnissen auf dem Lande.

Den Offenen Brief an die Bundespolitik und an die neue „Kommission gleichwertige Lebensverhältnisse“ stellen wir nachfolgend als PDF-Datei zum Herunterladen und Lesen zur Verfügung.

Offener Brief_12 € Mindestlohn und die Folgen für gemeinwohl-orientierte Dorfläden 12-2018