Multifunktionshäuser oder -zentren statt Dorfläden im ländlichen Raum? Sind „Multifunktionzentren“ im Vergleich zu „multifunktionalen Dorfläden“ tatsächlich auf dem Vormarsch? Dazu nahm jetzt Wolfgang Gröll, Co-Vorsitzender der „Bundesvereinigung multifunktionaler Dorfläden“ (BmD) in einem Interview Stellung.? Aktuell wird vereinzelt darauf aufmerksam gemacht, dass Multifunktionszentren auf dem Vormarsch sind. Bieten Multifunktionszentren tatsächlich Vorteile gegenüber den bekannten, bürgerschaftlich organisierten modernen Dorfladen 2.0?
Wolfgang Gröll
Hier müssen wir mit bestimmten Fehlinformationen aufräumen. Der Dorfladen hat schon von Beginn an immer wichtige Dienstleistungsfunktionen übernommen. Genauer gesagt, hat der Dorfladen immer die Dienstleistungen in seinem Angebot mit aufgenommen, die für den Standort und den Bürgern wichtig waren. Der 2001 eröffnete Dorfladen in Otersen hat schon Jahre vor DORV umfassende Dienstleistungen mit integriert und diese stets erfolgreich weiterentwickelt. So finden Sie heute ein sehr gut funktionierendes Dorfcafé, sowie ein umfassendes Dienstleistungsangebot. Einkaufen, Kultur, Tourismus sowie der tägliche Informationsaustausch werden in den meisten Dorfläden erfolgreich praktiziert.
? Wenn ich Sie richtig verstehe, sind Dienstleistungen wie Post und Lotto wichtig, um den Dorfladen kostendeckend betreiben zu können?
Wolfgang Gröll
Das ist ein weit verbreiteter Fehlglaube. In der Regel können mit den Provisionseinnahmen gerade mal die Mehrkosten wie Personalkosten abgedeckt werden. Auch darf nicht vergessen werden, dass es gerade für Aushilfs- und Teilzeitkräften eine sehr hohe Herausforderung ist, diese Dienstleistungen auch sach- und fachgerecht auszuüben, zumal diese Mitarbeiter nicht jeden Tag im Laden sind. Lotto- und Post-Agenturen sowie Paketshops erhöhen aber die Kunden-Frequenz, leisten einen Beitrag zur Sicherung der Nahversorgung und bieten den Dorfeinwohnern kurze Wege,
? Man hört doch immer wieder, dass die Dorfläden „nur“ Lebensmittel verkaufen. Warum benennen Sie nicht alle Dorfläden in „Multifunktionszentren“ um?
Wolfgang Gröll
Weil die Bürger in ihren Dorfladen zum Einkaufen gehen, egal was Sie auf den Laden draufschreiben. Mit dem Begriff „Multifunktionszentrum“ verbinden wir eher einen „Arbeitsbegriff“ aus und für die Verwaltung. Wenn man genauer hinsieht, soll dieser Begriff auch mehrere wirtschaftlich unabhängig voneinander geschaffene Einheiten „unter einem Dach“ beschreiben. Wenn Sie z. B. das „Multifunktionszentrum“ in Wörth betrachten, so werden Sie feststellen, dass hier sowohl Bankdienstleistungen, Lebensmittelverkauf, Dorfcafé mit Sozialfunktion, eine Arztpraxis sowie öffentliche Dienstleistungen wie z. B. eine Gemeindebücherei an dem Standort „Am Platzl 1“ vereint sind.
? Sie berichten, dass es bereits den Dorfladen 4.0 gibt. Was genau ist darunter zu verstehen?
Wolfgang Gröll
Der Dorfladen 1.0, wie wir ihn verstehen, ist das von Ihnen dargestellte „Multifunktionszentrum“.
Der Dorfladen 2.0 hat sich auf den Schwerpunkt der Regionalität konzentriert. So gibt es bereits sehr erfolgreiche Dorfläden, die bis zu 75 % des Umsatzes mit regionalen Produkten erwirtschaften. Unter „Regionalität“ verstehen die Dorfläden das Vermarkten von Produkten, die in erster Linie aus dem unmittelbaren Umfeld von kleineren Erzeugern und Produzenten vermarktet werden.
Der Dorfladen 3.0 legt den Schwerpunkt auf die Wertschöpfung. Dieser Bereich stellt aus meiner Sicht die größte Herausforderung für die Akteure vor Ort dar. Faire Gehälter, die regional mit den Wettbewerbern mithalten können und das faire Bezahlen der regionalen Lieferanten stehen dabei stark im Vordergrund.
Der Dorfladen 4.0 konzentriert sich auf das Einkaufserlebnis. Die oben genannten Generationsstufen bauen aufeinander auf. Der Dorfladen 4.0 beinhaltet selbstverständlich alle vorangegangenen Stufen.
? Und wie sieht die Zukunft der Dorfläden aus?
Wolfgang Gröll
Eine der größten Herausforderungen wird die faire Bezahlung aller Mitarbeiter, die im operativen Geschäft tätig sind. Hier wird uns je nach Region der Arbeitsmarkt dazu zwingen. Das Ehrenamt wird weiter abnehmen und die Professionalisierung der Abläufe weiter zunehmen. Eine weitere Herausforderung wird auch die ständige Weiterentwicklung des Vertriebsprofiles sein. Diese Arbeit wird auch im Rahmen der Erfahrungsaustauschgruppen und der Trainer, die im Rahmen des Dorfladen-Netzwerkes koordiniert werden, weiter unterstützen. So sind derzeit 5 Dorfladen-Netzwerk-Partner nur damit beschäftigt, die Dorfläden vor Ort in ihrer Arbeit zu unterstützen.
! Danke für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg für die Zukunft der Dorfläden.