107 Bürgermeister, Kommunalpolitiker und Handelsexperten diskutierten am 5. Oktober beim 8. Bayerischen Nahversorgungstag in Rosenheim über Veränderungen und den Wandel im Einzelhandel. Gesucht wurde nach Lösungen für die Nahversorgung, die insbesondere den ersten drei Buchstaben des Wortes gerecht werden. Mit Peter Böhmer und Wolfgang Gröll waren zwei Vorstandsmitglieder der Bundesvereinigung multifunktionaler Dorfläden (BmD) als Referenten in Rosenheim aktiv.Selbst in der 60.000 Einwohner zählenden Stadt Rosenheim hat die Nahversorgung in mehreren Stadtteilen Lücken. Noch dramatischer ist die Lage im ländlichen Raum: Fast in jeder 4. Gemeinde in Bayern gibt es keinen Lebensmittelmarkt mehr.
Die Chancen virtueller Marktplätze müssten künftig stärker genutzt werden, denn neben dem Trend zur Regionalität müssten auch die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung genutzt werden, appellierte Staatssekretär Franz Josef Pschierer beim Nahversorgungstag in Rosenheim.
Im ländlichen Raum wird immer öfter auf „Dorfläden – von Bürgern für Bürger“ gesetzt, weil engagierte Dorfgemeinschaften ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und „Eigeninitiative statt Unterversorgung“ praktizieren.
Früher wurden kommunal oder bürgerschaftlich organisierte Dorfläden dort gegründet, wo der Weg zum nächsten Discounter und/oder Supermarkt 5, 10 oder noch mehr Kilometer lang ist. Ganz anders in Farchant bei Garmisch-Partenkirchen.
Bis zum nächsten Supermarkt sind es nur 1 km und im 5-km-Umkreis gibt es 15 große Discounter und Supermärkte – aber eben nicht im Ortszentrum der 3.600 Einwohner zählenden Gemeinde Farchant.
Eigentlich hätte es den neuen Dorfladen in Farchant wegen der Lebensmittel nicht unbedingt gebraucht, denn den nächsten Supermarkt gibt es im Gewebegebiet, wohin ihn die Gemeinde durch schlechte Planung hinausgetrieben habe, berichtete Peter Böhmer in seinem Vortrag. „Trotzdem haben wir gemerkt: Unser Dorf blutet aus – deshalb haben wir einen neuen Dorfladen in der Ortsmitte gegründet“, betonte Peter Böhmer, Gesellschafter-Geschäftsführer des Farchanter Dorfladens die Motivation der Bürger zur Gründung des neuen Ladens.
„Dorfläden sind eine wichtige Größe in der regionalen Wertschöpfung, sie fördern eine besondere Form der Regionalität – mit regionalen Produkten kleiner Unternehmen aus einem 50 km-Umkreis“, erläuterte Peter Böhmer. „Diese Art der Regionalität finden unsere Kunden jedenfalls nicht unter den sogenannten Regional-Labels der großen Handels-ketten“, stellte der engagierte Dorfladler Peter Böhmer die Unterschiede heraus.
„Ohne einen Lebensmittelladen im Ortszentrum blutet ein Dorf aus. Das haben wir in Farchant verhindern können“, war Peter Böhmer überzeugt.
Im Verlauf des Nahversorgungstages wurde mehrfach bedauert, dass sich aufgrund von Festsetzungen der Gemeinden in den Bebauungsplänen neue Supermärkte zunehmend in Gewerbegebieten oder auf der „grünen Wiese“ – aber nicht in Ortszentren ansiedeln.
„Der Trend der vergangenen Jahre zu immer größeren Verkaufsflächen außerhalb der Ortszentren auf der grünen Wiese hat einen Gegentrend hervorgebracht, an dessen Spitze die Dorfläden stehen“, betonte Unternehmensberater Wolfgang Gröll in seinem Vortrag „Dorfladen 4.0“.
Aufgrund größer werdender Herausforderungen haben sich die Dorfläden in den letzten Jahren zunehmend zu professionell geführten Handelsbetrieben weiterentwickelt, so Wolfgang Gröll, der regionale Lebensmittel und Bio-Produkte als Schwerpunkte in den Dorfladen-Sortimenten herausstellte.
Ernst Läuger, Präsident des Handelsverbandes Bayern (60.000 Handelsunternehmen in Bayern mit über 300.000 Mitarbeitern) forderte verbesserte Rahmenbedingungen und sagte mit Blick auf den demografischen Wandel steigenden Druck auf die Kommunen voraus.
Staatssekretär Franz Josef Pschierer sah in Dorfläden ein „Ergänzungsangebot, das Versorgungslücken verhindere“ und freute sich darüber, das 90 Prozent der im Freistaat Bayern gegründeten Dorfläden überlebt hätten.