Innerhalb des Dorfladen-Netzwerkes gibt es längst Kontakte und den Erfahrungsaustausch zwischen Bürgerläden in Nord- und Süddeutschland – jetzt besuchte der Sprecher des Dorfladen-Netzwerkes Günter Lühning aus Otersen in Niedersachsen den Dorfladen in Farchant (Landkreis Garmisch-Partenkirchen). Farchant gilt als „Galier“ unter den bürgerschaftlich organisierten, über 200 Dorfläden in Deutschland, weil es Peter Böhmer und seinem Team trotz starker Konkurrenz gelingt, den Farchanter Dorfladen erfolgreich zu führen. Mit 15 (!) Supermärkten und Discountern im Umkreis von nur 5 km, davon 1 Vollsortimenter und 1 Discountern nur 1 km von Farchant entfernt – sieht sich der Farchanter Dorfladen dem größten Wettbewerb gegenüber – hat aber eine Marktnische gefunden und sorgt in der 3.655 Einwohner zählenden Gemeinde Farchant für eine Nahversorgung und Lebensqualität – im Gegensatz zur allgemeinen Situation, denn in Bayern haben 40 % der kleinen Dorfläden in den letzten 10 Jahren für immer die Ladentür zugesperrt.
Auf dem Messestand des Dorfladen-Netzwerkes bei der Int. Grüne Woche 2014 und 2015 in Berlin knüpften die Akteure von Dorfläden aus fünf Bundesländern Kontakte – darunter auch die Akteure aus Otersen in Niedersachsen und Farchant in Oberbayern. An einem Samstagvormittag kam jetzt Günter Lühning zu einem Kurzbesuch in den Dorfladen Farchant, freute sich über viele Kunden im Dorfladen und pflegte mit Peter Böhmer einen regen Meinungsaustausch. Nach dem Rundgang durch den 100 qm großen Laden mit den Schwerpunkten auf gute Lebensmittel aus der Region, einem guten Angebot in den Bedien- und Kühltresen mit Backwaren, Wurstwaren und vielfältigem Käse-Angebot sowie einer kleinen Café-Ecke diskutierten die beiden Dorfladen-Macher über die Entwicklung der Nahversorgung.
Der Farchanter Peter Böhmer legte seinem Gast aus dem Norden einen Pressebericht mit der Schlagzeile „Bayerns Dorfkerne sterben“ vor. Die in diesem Pressebericht enthaltenen Fakten sind leider typisch für die Nahversorgung in den ländlichen Räumen Deutschlands:
- 733 kleine Lebensmittel-Läden (bis 400 qm Größe) haben in Bayern in den letzten 10 Jahren geschlossen
- Die Zahl der kleinen Nahversorger ist somit in Bayern um 40 % (!!) auf 1.095 gesunken
- Die Zahl der großen Supermärkte und Discounter ist in Bayern um 162 auf 2.677 gestiegen, oftmals auf der grünen Wiese am Ortsrand statt im Dorfkern – so dass Einkaufen zu Fuß immer seltener möglich wird
In den einzelnen Regionen Bayerns hat sich die Nahversorgungs-Situation wie folgt entwickelt:
- Am stärksten sank die Zahl der Nahversorger in Oberfranken mit minus 49,4 % (2005-2014),
- in Oberbayern schloss jeder 3. kleine Laden,
- im Landkreis Garmisch-Partenkirchen machten 13 der 28 kleinen Läden dicht,
- im Berchtesgardener Land schlossen sogar 20 von 40 kleinen Lebensmittelläden,
- im Kreis Rosenheim schlossen 23 von 69 Dorfläden und
- im Landkreis Miesbach sperrten 7 von 17 „Tante Emma“-Läden zum allerletzten Mal die Ladentür zu – für immer!
Deutschlandweit sank die Zahl der Lebensmittelgeschäfte von 160.000 in den 1970er Jahren auf jetzt unter 39.000.
Immer weitere Wege – Einkauf weitentfernt statt Nahversorgung – sind die Folge. Schon vor vielen Jahren galten deshalb 8 Millionen Bundesbürger als unterversorgt. Im Elbe-Weser-Dreieck zwischen Bremen, der Nordseeküste und Hamburg haben 26 % der Einwohner in Nordost-Niedersachsen keine Einkaufsmöglichkeit mehr am Wohnort – in einigen ländlichen Samtgemeinden sind es sogar 60 oder in der Spitze 83 % der Einwohner, die keinen Laden mehr in der Samtgemeinde haben – nicht nur im eigenen Dorf, sondern in der aus mehreren Dörfern bestehenden Samtgemeinde, berichtete Günter Lühning über die Situation in Niedersachsen.
Jeder negative Trend sorgt aber oftmals auch für eine Gegenbewergung und die heiße „Dorfläden – von Bürgern für Bürger“, so Günter Lühning, der als Sprecher des Dorfladen-Netzwerkes die Zahl der bürgerschaftlich organisierten Dorfläden auf inzwischen deutlich über 200 schätzt. Das bayerische Wirtschaftsministerium schätzt die Zahl der neuen Dorfläden allein in Bayern auf 140 bis 150. Der Freistaat habe in den letzten Jahren 23 dieser Neugründungen finanziell gefördert, so das Ministerium in Bayern.
Zu den Neugründungen der letzten Jahre in Bayern zählt auch der Farchanter Dorfladen,
- der 2013 von 267 Mitgliedern
- mit 68.000 € Eigenkapital der Bürger gegründet wurde und
- die Zahl der von Unternehmensberater Wolfgang Gröll aufgestellten Umsatzprognose gleich auf Anhieb übertraf.
Der Farchanter Dorfladen hat sogar durchgehend auch in der Mittagszeit geöffnet und bietet seinen Kunden einen Mittagstisch und einen Lieferservice.
Zum Abschluss des „Nord-Süd-Dialoges“ der „Dorfladler“ Peter Böhmer und Günter Lühning vereinbarten beide eine Intensivierung des Erfahrungsaustausches zwischen dem jungen Farchanter Dorfladen und dem bereits seit 14 Jahren erfolgreich betriebenen Dorfladen Otersen im nur 500 Einwohner zählenden Bundes-Golddorf Otersen mitten in Niedersachsen.