Bürgerschaftlich organisierte Dorfläden als Selbsthilfeeinrichtungen im ländlichen Raum sind Gemeinwohl-orientiert. Mit dem Sachranger Dorfladen hat jetzt der 1. Bürgerladen bundesweit eine Gemeinwohl-Bilanz mit Testat der Gemeinwohl-Ökonomie.
Gerne stellen wir den Sachranger Dorfladen vor und veröffentlichen einen Bericht von Josef Mispagel aus Sachrang, dem 500 Einwohner zählenden Bergsteigerdorf im Chiemgau im oberbayerischen Landkreis Rosenheim:
Das Geschäftsmodell des Sachranger Dorfladen ist Gemeinwohl – fast pur!
- Bis Ende 2018 wird der Sachranger Dorfladen von 189 Stillen Gesellschaftern unterstützt mit einer Gesamteinlage von 61.000 €.
- Von den Gesellschaftern sind 158 aktive Käufer = 84 %, davon 21 gleichzeitig regionale Lieferanten = 13,5 %
Verteilung der Mitgesellschafter*innen
- 55 % Bürger*innen aus Sachrang
- 20 % Bürger*innen aus Aschau und Region
- 18 % Zweitwohnungsbesitzer*innen
- 5 % Feriengäste
- 2 % Bürger*innen aus Tirol
Warenanteil zur Grundversorgung des Dorfes
- Regionale Lebensmittel 26,0 %
- Bio Waren 25,1 %
- Getränke 17,0 %
- Konventionelle Waren 16,4 % (Lebensmittel, Haushaltswaren, Körperpflege) Bewirtung/Catering 9,5 %
- Zeitungen/Zeitschriften, Geschenkartikel 6,0 %
Entfernung der Lieferanten zum Dorfladen-Standort
- 41 % sind konventionelle Lieferanten, die ab Lager im Umkreis von max. 150 km ausliefern 19 % Regionaler Erzeuger produzieren näher als 25 km
- 25 % Regionaler Erzeuger produzieren näher als 15 km
- 15 % Regionaler Erzeuger produzieren näher als 5 km
Unser Unternehmen
Anfang 2010 haben Bürger*innen Sachrangs in Eigenregie einen Dorfladen zur Versorgung der Bevölkerung gegründet. Der Sachranger Dorfladen ist ein Gemeinschaftsprojekt, als genossenschaftsähnlich geführte Unternehmergesellschaft von Bürger*innen, Feriengästen und Freunden des Dorfes im Mai 2010 eröffnet. Von den Dorfbewohnern für die Dorfbewohner, dem Gemeinwohl dienend, zielt der Sachranger Dorfladen nicht auf Gewinnmaximierung ab, sondern sieht sich der Förderung des Gemeinwohls von Sachrang und seinen Bürger*innen verpflichtet. Der Dorfladen versteht sich als Nahversorger mit breitem Produktsortiment an Lebensmitteln und Haushaltsartikeln für den täglichen Bedarf und legt Wert darauf, Produkte mit hoher Qualität und großenteils aus regionaler Herstellung anzubieten. Doch der Dorfladen bietet mehr als die Versorgung mit Lebensmitteln für den täglichen Bedarf. Er ist Treffpunkt für Einheimische und Gäste. Er schafft Arbeitsplätze und wird mit Herzblut und großem (auch ehrenamtlichem) Engagement geführt. Zur Unterstützung der Geschäftsführung und in Sprecherfunktion für die Mitgesellschafter gibt es einen Mitgliederrat. Als Rechtsform des Sachranger Dorfladens wurde eine kleine Kapitalgesellschaft gewählt, die haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft, die mit typisch Stillen Beteiligungen aufgebessert wird. Das Stammkapital der UG (haftungsbeschränkt) beträgt 300 € und wird von drei im Handelsregister (Amtsgericht Traunstein) eingetragenen Gesellschafter*innen gehalten. Stille Gesellschafter*innen konnten und können sich mit Beträgen von wenigstens 100 € an der typisch Stillen Gesellschaft beteiligen. Bis Ende 2018 waren 189 Mitgesellschafter*innen am Dorfladen beteiligt.
Unsere Philosophie
Langfristig streben wir ein ethisches Wirtschaftsmodell an, das gelingende Beziehungen umfassend von Mensch zu Geschöpf und Umwelt eines Tages das Leitbild des Wirtschaftens auf dem ganzen Planeten werden möge. Die Gemeinwohlökonomie stellt dabei einen sehr aussichtsreichen Beginn dieser hoffnungsvollen Entwicklung dar.
Der Sachranger Dorfladen als Teil mehrerer Projekt-Aktionen
Der kleine Ort Sachrang mit rund 290 Einwohnern im Kernort, idyllisch gelegen zwischen Spitzstein und Geigelstein in den Chiemgauer Alpen, wurde am 21. Juli 2017 in aller Form mit dem Nachbarort Schleching zum „Bergsteigerdorf“ gekürt. Mit der feierlichen Verleihung dieses Gütesiegels für ökologisch und kulturell nachhaltigen Tourismus hat der Sachranger Dorfladen als Bergsteigerdorf-Partner wieder einen kleinen Teil zum Erhalt der Kulturlandschaft Oberes Priental beigetragen. Der Sachranger Dorfladen ist eine von fünf Initiativen in dem grenzüberschreitenden Netzwerk „Region in Aktion“. Das Netzwerk erstreckt sich von Aschau im Chiemgau/Bayern bis zum Niederndorferberg/Tirol. Diese Initiativen eint das gemeinsame Engagement in der ländlichen Entwicklung. Zukunftsweisend sind die innovativen Formen der Zusammenarbeit zwischen Bauern und Verbrauchern in den Handlungsfeldern Landwirtschaft, Lebensmittelerzeugung und Vermarktung, Umwelt und Naturschutz sowie dem Tourismus und der Kommune Aschau im Chiemgau.
Der Sachranger Dorfladen und Gemeinwohl
Auf der Suche nach einem Weg zwischen der Kapitalismus- und Kommunismuskritik kamen wir auf das Konzept der Gemeinwohlökonomie des Christian Felber. Seine Bücher „Die Gemeinwohl-Ökonomie“, mit der zentralen Forderung, dass alles Wirtschaften auch laut Bayerischer Verfassung dem Gemeinwohl zu dienen habe und nicht der fortschreitenden Geldvermehrung und sein sehr persönliches Buch „Die innere Stimme“ über die tiefe innere Überzeugung und Begeisterung für ein ethisches Wirtschaftsmodell überzeugten uns von dem Weg. Franz Galler bestätigte uns, dass es auch für unseren kleinen Dorfladen möglich und sinnvoll sei, an der Gemeinwohl-Bilanz teilzunehmen.
Transparenz und gesellschaftliche Mitentscheidung
Der genossenschaftliche Charakter der Sachranger Dorfladen UG drückt bereits einen hohen Grad der Verbundenheit und Kooperation aus. 84 % aller Gesellschafter*innen sind aktive Käufer*innen und davon 13,5 % auch regionale Lieferant*innen.
Für die Präsentation der Projekte der „Region in Aktion“ im EU-Parlament in Brüssel 2016 entstand eine Wanderausstellung, die zunächst allen Bürger*innen unserer Heimatgemeinde in Aschau gezeigt wurde und noch im gleichen Jahr zur Gemeinde nach Bad Endorf ging. Weitere Ausstellungen in der Evang.-Luth. Kirche in Prien, auf der Sulzingalm für das Umweltministerium und beim Landschaftspflegeverband Rosenheim folgten.
Im Juli 2017 erhielten die Gemeinden Sachrang und Schleching mit dem gemeinsamen Naturschutzgebiet Geigelstein die Auszeichnung „Bergsteigerdörfer“. Die Werte Natur und Landschaft haben Vorrang und stehen mit der Alpenkonvention im Einklang. Ein wichtiges Zielkriterium für diese Auszeichnung war, die ausreichende Nahversorgung am Ort mit Waren des täglichen Bedarfes. Also ein Dorfladen.
Aus zahllosen freundlichen Begegnungen und zustimmenden Gesprächen heraus können wir unsere Besucher*innen wahrlich als Botschafter*innen des, dem Gemein-wohl verpflichteten, Sachranger Dorfladens ansehen, weit über die Grenzen Aschaus und Sachrangs hinaus.
Die Sachranger Dorfladen UG ist Gemeinwohl zertifiziert
Am 27.11.2018 erhielt der Sachranger Dorfladen während einer Festveranstaltung der GWÖ-Regionalgruppe Südostbayern und der KBW Traunstein in dessen Theatersaal in Traunstein das Zertifikat über seine erste Gemeinwohl-Bilanz 2017.
Eine sehr bewegte und bewegende Veranstaltung, bei der Günter Grzega, Vorsitzender des Ethik-Beirates und ehemaliger Vorsitzender der Sparda-Bank München eG, die erste Gemeinwohl-Bank Deutschlands, das Hauptreferat „Die Zukunft der Marktwirtschaft – gemeinwohlorientiert und ökosozial“, hielt.
Er sieht in der Idee der Gemeinwohl-Ökonomie den Gesellschaftsentwurf einer demokratischen, ethischen Wirtschaftsordnung, als Folge einer evolutionären Entwicklung.
Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine weltweit zunehmend wachsende Bewegung, die 2010 von dem Österreicher Christian Felber ins Leben gerufen wurde. Diese Idee ist abgeleitet von den Grundfesten zahlreicher Verfassungen der internationalen, demokratischen Staaten-gemeinschaft. So auch der Bayerischen Verfassung, die heuer ihr 100jähriges Bestehen feiert. Bereits im Artikel 3(1) ist zu lesen: „Bayern ist ein Rechts-, Kultur- und Sozialstaat. Er dient dem Gemeinwohl.“ Und weiter im Artikel 151 (1) „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle. (…)“
Dieser Maxime folgte und folgt auch der Sachranger Dorfladen. Er ist als eine Unternehmer-Gesellschaft (UG) eingetragen, gleichwohl wird er seit 2010 genossenschaftlich geführt. Zur Zeit der Bilanzzeitraumes mit mehr als 180 Anteilseignern.
Von Beginn an steht der Nutzen für die ganze Dorfgemeinschaft – das Gemeinwohl – im Vordergrund. Nicht der stetig steigende Finanzgewinn!
So war es dann auch 2018 nach Jahren zähen Ringens um eine gesicherte Existenz eine willkommene Herausforderung, die erste Gemeinwohl-Bilanz zu erstellen, um zu überprüfen, in wieweit die Grundideen des Dorfladens verwirklicht sind.
Dass der Dorfladen sich seit seiner Umgestaltung 2017 auf einem guten Weg befindet, ist an dem Zahlenwerk abzulesen. Doch dass die Ergebnisse der Gemeinwohl-Matrix in ihrer Bilanz so positiv abschnitten, erfüllt uns alle mit großer Zufriedenheit und Freude. Das Zertifikat darüber gibt uns Zuversicht und Kraft; es ist Ansporn für eine weitere positive, zukunfts-fähige Entwicklung.
Dass aus dem einst zarten Pflänzchen Dorfladen eine stabile Pflanze erwachsen ist und seit 2 Jahren an diese Pflanze die ersten Früchte heranreifen, dafür zeichnet von Anfang an die Geschäftsführung verantwortlich. Mit unermüdlichem Engagement führte und führt sie unbeirrt und erfolgreich den Dorfladen. Bei dieser Geschäftsführung unterstützt sie der Mitgliederrat allen voran Dr. Martin Mörike mit seiner ausgewiesenen hohen fachlichen Kompetenz.
Doch der Dorfladen wäre nichts ohne die Mit-Gesellschafter, die Mit-Bürger und Mit-Bürgerinnen der Dorfgemeinschaften Sachrang und Aschau, die des gesamten Prientales bis zu denen des Niederdorfer Berges, ohne die zahlreiche Gäste und Freunde.
Wir, das Team des Sachranger Dorfladens danken dafür, dass wir für Sie, für ein gutes Leben für alle, von Mensch über Tier bis zur Natur beitragen dürfen.
Josef Mispagel