Hybride Dorfläden: Stationär & digital – das Beste aus 2 Welten

Tante Enso: Stationär & digital

Die Digitalisierung hat Einzug gehalten in die ländliche Nahversorgung. Reine 24/7-Märkte, sieben Tage in der Woche rund um die Uhr geöffnet – aber ohne persönliche Bedienung – werden aktuell von verschiedenen Anbietern projektiert, erprobt und realisiert. In den Medien haben diese 24/7-Märkte einen Hype ausgelöst. Ob diese Entwicklung nachhaltig und erfolgreich ist, wird erst in der Zukunft zu beantworten sein.

Den Freunden herkömmlicher Nahversorgung mit Tante Emmas-Enkelinnen hinter dem Bedientresen und an der Ladenkasse fehlt bei den reinen 24/7-Märkten die „Seele“, die Menschlichkeit beim Einkaufen – insbesondere die soziale Funktion eines Dorfladens als örtlicher Begegnungsstätte. Mit Blick in die Zukunft werden sich zunehmend aber mehr Dorfläden, mehr Bürgerläden der Digitalisierung öffnen müssen, um steigende, laufende Kosten für Energie und Personal abfedern und die letzten Nahversorger auf dem Lande zukunftssicher erhalten zu können.

„Lebensmittelversorger sind ein entscheidender Revitalisierungs-Impuls für die Dörfer“, betonte Thorsten Bausch (Tante Enso) mit Blick auf den § 72 des Grundgesetzes (gleichwertige Lebensverhältnisse) zu Beginn eines Online-Seminars der Agrarsozialen Gesellschaft ASG Göttingen, des Vereins „Die DORFbegegnungsLÄDEN in Deutschland e.V.“ und des Zentralverbandes deutscher Konsumgenossenschaften ZdK in Hamburg am 12. Mai 2021.

Thorsten Bausch gründete gemeinsam mit Norbert Hegmann den Online-Supermarkt myEnso in Bremen. Für Seniorenheime und Dörfer ab ca. 1.000 Einwohner haben die Bremer das Kleinflächen-Konzept „Tante Enso“ entwickelt – als Kombination von „Tante Emma“ einerseits und dem „myEnso-Online-Vertrieb“ andererseits.

„Tante Enso“ verbindet

  • den stationären Lebensmittel-Verkauf und Online-Bestellmöglichkeiten
  • bis zu 3.000 Artikel in den Regalen vor Ort mit rd. 20.000 Artikeln virtuell im Online-Shop
  • 30 Stunden wöchentliche Geschäftszeit mit persönlicher Bedienung plus gut 130 weitere Stunden ohne Bedienung und mit self scanning-Kasse.
Lisa Bädecker: „… Unsere älteste Self-Checkout-Kundin ist 98 Jahr alt!“ Foto: myEnso

Außerhalb der Zeiten mit Bedienung bekommen die Kunden mit „Tante Enso“-Karte Zutritt zum Tante Enso-Dorfladen in Blender und Schnega und können Kamera-überwacht einkaufen. Nach dem SB-Einkauf wird die eingekaufte Ware von den Kundinnen und Kunden eigenständig über den Scanner gezogen und am Ende per Karte und Lastschrifteinzug oder zu Lasten des Guthabens auf der Karte bezahlt. „Kann die ältere Kundschaft mit dieser neuen Technik umgehen?“ war eine der vielen Fragen während der fast zweistündigen Online-Veranstaltung. „Die Annahme, das ältere Menschen nicht offen gegenüber neuen Technologien sind, hat sich für uns nicht bewahrheitet, sogar ganz im Gegenteil! Unsere älteste Self-Checkout-Kundin ist 98 Jahre alt! Sie hat sich die Benutzung der Kasse vom Tante Enso-Personal zeigen lassen und nutzt diese inzwischen sogar bevorzugt, weil sie die damit verbundene Flexibilität und Eigenständigkeit sehr schätzt“, antwortete Lisa Bädecker von Tante Enso in Bremen.

Der erste „Tante Enso“-Dorfladen wurde in Blender im Landkreis Verden südlich von Bremen eröffnet. 2020 folgte der zweite „Tante Enso“-Dorfladen, ebenfalls in Niedersachsen, in Kooperation mit einer Bürger-Genossenschaft in Schnega, einem 1.300 Einwohner-Dorf im Landkreis Lüchow-Dannenberg. In Blender und Schnega ist die Zeit ohne Nahversorger vorbei und bei „Tante Enso“ kann an 7 Tagen in der Woche von Montag bis Sonntag 24 Stunden rund um die Uhr eingekauft werden. An die Stelle von Tante Emma´s Registrier-Kasse sind moderne Self Scanning-Kassen getreten. Die Besonderheit dieser 24/7-Märkte – eigentlich ohne Personal – sind besondere Geschäftszeiten mit persönlicher Bedienung an einigen Vormittagen und einigen Stunden am Nachmittag – etwa 30 Stunden Öffnungszeit pro Woche mit persönlicher Bedienung in Schnega. Durch diese Kombination werden Tante Enso-Dorfläden zu hybriden Dorfläden – „mit dem Besten aus 2 Welten“.

Gefragt wurde auch nach den Ansiedlungs-Voraussetzungen für „Tante Enso“-Dorfläden. Lisa Bädecker: „Neben den harten Fakten wie Einwohneranzahl und Distanz zum nächsten Supermarkt, zählt für uns der Wille des Ortes. Wie groß ist der Wunsch nach einer Nahversorgung durch Tante Enso wirklich? Diesen Liebesbeweis erbringen Dörfer durch besondere Bewerbungs-Videos, gesammelte Willensbekundungen und nicht zuletzt durch die Anteilszeichnung in unserer Genossenschaft und direkte Teilhabe an ihrem Tante Enso“.  „Bei der Einwohnerzahl sind es grundsätzlich 1.000 Einwohner, wichtiger ist aber die Zahl der angestrebten Anteile von 300 Einwohnern mit 100 € pro Anteil“ ergänzte Thorsten Bausch. Zahlreiche Teilnehmende am Online-Vortrag wollen jedenfalls mit myenso in Bremen in Kontakt treten.

Im niedersächsischen Schnega führte die 1. Kontaktaufnahme zur Eröffnung eines Tante Enso-Dorfladens. Von der Eröffnung im Oktober 2020 berichteten gleich mehrere Fernsehsender, darunter auch das NDR-Fernsehen www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/Einzelhandel-20-Der-digitale-Dorfladen-in-Schnega,hallonds61836.html

Vorausgegangen war eine 1. Info-Veranstaltung mit 350 (!) Interessierten. Die 30.000 € Mindesteinlage für die Bürgergenossenschaft war dann schnell zusammen. Mit freund-licher Bedienung hat der Tante Enso-Dorfladen von Montag bis Sonnabend (außer am Mittwoch) jeweils von 8 bis 12 Uhr geöffnet und zusätzlich am Dienstag, Donnerstag und Freitag von 15 bis 18 Uhr. An diese Geschäftszeiten mit Bedienung – immerhin 29 Stunden pro Woche – müssen sich Tante Enso-Karteninhaber nicht halten und können auch abends um 20.30 Uhr oder am Sonntag um 11 Uhr „digital einkaufen“. Diese Flexibilität wurde während des Online-Seminars von Edna Heller aus Schnega positiv herausgestellt. „Ich muss mich nicht an Ladenschließungszeiten halten und Stress machen, sondern kann entspannt am späteren Abend einkaufen. Den Einkaufstrubel vor Feiertagen kennen wir auch nicht, weil sich die Kundenströme auf 24 Stunden am Tag verteilen. Trotzdem praktizieren die Einwohnerinnen und Einwohner in Schnega auch den Klönschnack beim Einkaufen und die sozialen Kontakte“ bestätigte Edna Heller. Im 2. Schritt soll es bald ein DorfCafé neben Tante Enso geben.

„Lebensmittelversorger sind ein entscheidender Revitalisierungs-Impuls für die Dörfer“, betonte Thorsten Bausch, Gründer und CMO von myEnso/Tante Enso in Bremen.

„Ich glaube, wer nach einer Lösung für die Versorgung der Menschen in ländlichen Regionen sucht, der darf den Menschen als Teil der Lösung dann auch nicht ausschließen. Es geht am Ende um Lebensqualität für den Menschen und die ist ohne Menschen für mich nicht lebenswert – die Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern darf nur Dienstleister des Menschen sein!“, resümierte Thorsten Bausch, Mitbegründer und CMO von myEnso/Tante Enso in Bremen.                                                            gl.