Wie groß muss ein Dorf sein – wieviel Umsatz sind notwendig, damit ein Dorfladen wirtschaftlich erfolgreich sein kann? „Mehrere tausend Einwohner und möglichst 1 Mio. Euro Jahresumsatz“ – behaupten oftmals Vertreter der großen Lebensmittel-Konzerne. „Von Bürger für Bürger“ geführte Dorfläden beweisen jedoch, das ein erfolgreicher Betrieb schon ab 500 Einwohnern und 300.000 Euro Jahresumsatz möglich ist, wenn sich die Bürger entsprechend engagieren und zumindest mehrheitlich „hinter ihrem Laden stehen“.
Im 520 Einwohner zählenden Dorf Otersen (2007 Bundessieger „Unser Dorf hat Zukunft“) mitten in Niedersachsen und 80 km nördlich von Hannover, wurde am 6.12.2000 mit 103.000 DM Eigenkapital eine Dorfladen-Bürgergesellschaft gegründet und am 1.4.2001 der 140 qm große Dorfladen „von Bürgern für Bürger“ eröffnet. Ende September befassten sich die Bürger jetzt mit der 10. Jahres-Bilanz.
Bereits 2005 wurde im niedersächsischen Otersen ein Jahresumsatz von 302.000 € erreicht und durchschnittlich werden Jahr für Jahr rd. 38 % der Lebensmittel-Kaufkraft im 140 qm großen Dorfladen gebunden. In den folgenden 3 Jahren sank der Jahresumsatz jedoch auf 276.000 € (2008), weil der Fachgr0ßhändler und Haupt-Lieferant nicht mehr das für den kleinen Lebensmittel-Einzelhandel erforderlich Sortiment bieten konnte. Zum Jahresende 2008 wechselte der Dorfladen Otersen deshalb den Haupt-Lieferanten und wird seitdem von Bartels-Langness (Markant) beliefert. Diese Entscheidung der Bürgergesellschaft wurde 2009 und 2010 mit wieder steigenden Jahresumsätzen belohnt. Bei der Dorfladen-Versamlung Ende September konnten sich die aktiven Bürger über ein Umsatz-Plus von 6 % auf 313.000 Euro in 2010 freuen.
Nach Verlusten im Rumpf-Geschäftsjahr 2001 (9 Monate) und in 2002 und 2003 konnte der Dorfladen Otersen bereits 2004 mit 2.000 Euro Gewinn „eine schwarze Null“ schreiben. Nach vier erfolgreichen Jahren rutschte der Dorfladen Otersen 2008 wieder in die Verlust-Zone (4.071 € Verlust). Dafür waren zwei Ursachen verantwortlich:
- 1. der Umsatz-Rückgang auf 276.000 Euro
- 2. die Kündigung der Lotto-Agentur im Dorfladen Otersen durch die Lotto Niedersachsen GmbH und damit verbunden der Verlust eines Frequenzbringers und von jährlich rd. 2.600 Euro Jahresprovision
Im 10. Geschäftsjahr 2010 wurde das Ziel „Auskömmlichkeit statt Gewinn-Maximierung“ mit einem Jahresverlust von 554 Euro nur noch knapp verfehlt, berichtete Dorfladen-Vorsitzender Günter Lühning Ende September. Jahr für Jahr zahlt die Dorfladen-Bürgergesellschaft rund 48.000 Euro Löhne und Sozialabgaben für die fünf Verkäuferinnen, davon 3 Mitarbeiterinnen auf 400 Euro-Basis. Für das 140 qm große Ladenlokal wurden jährlich 7.000 Euro Miete gezahlt und für Energiekosten wird die gleiche Summe aufgewendet.
Mitte April ist der Bürger-Dorfladen aus den bisher gemieteten Räumen ausgezogen und in das neue Dorfladen-Gebäude umgezogen, dass sich im Eigentum der Bürgergesellschaft, genauer gesagt im Eigentum des neugegründeten wirtschaftlichen Verein „Dorfladen Otersen w.V.“ befindet. Am neuen Standort stehen 180 qm Verkaufsfläche für den Laden-Betrieb zur Verfügung. Am 1. Mai wurde das 70 qm große AllerCafé – auch Mehrgenerationen-Dorfcafé – gleich neben dem Dorfladen eröffnet. Im Dachgeschoß befindet sich eine 130 qm große Wohnung, die seit August an eine junge Familie vermietet ist.
Der Neubauwert und der Grundstückswert von Dorfladen, Café, Wohnung, 2 Terrassen und 10 Parkplätzen beträgt über 600.000 Euro.
Im 2. Quartal 2011, den ersten 3 Monaten am neuen Standort, konnte der Dorfladen seinen Umsatz um 19 % steigern.
Im 1. Halbjahr 2011 wurde das Betriebsergebnis auf gut 1 % des Umsatzes verbessert. Um das ehrgeizige Zukunftsprojekt „Vom Lebensmittel-Markt zum Lebens-Mittelpunkt eines Dorfes“ finanzieren zu können, hat der 112 Mitglieder (Haushalte) zählende Dorfladen Otersen w.V. im Gesamtwert von 210.000 Euro Eigenkapital, Spenden und Eigenleistungen (über 5.000 Stunden) eingebracht. 168.000 Euro öffentliche Zuwendungen der EU, des Landes Niedersachsen und der Gemeinde Kirchlinteln (nationale Kofinanzierung) trugen zu 28 % zur Finanzierung bei. Ausserdem hat der Dorfladen Otersen w.V. 28.000 Euro Darlehen für eine Photovoltaik-Eigenstromanlage und 190.000 Euro Darlehen zur Gebäude-Finanzierung aufgenommen.
Während sich das Darlehen in Höhe von 28.000 Euro aus den Sonnenstrom-Erträgen selbst trägt, werden die Zins- und Tilgungsleistungen für 190.000 Euro Gebäude-Finanzierung (jährlich 14.338 Euro) aus folgenden Quellen gedeckt:
- 6.750 Euro aus dem Laden-Betrieb (bisherige Laden-Miete wird jetzt als Zins u. Tilgung bezahlt)
- 6.120 Euro aus der Vermietung der Wohnung im Dachgeschoß
- 3.400 Euro aus neuen Provisionserlösen und sonstigen Einnahmen
Bereits 2008 hat Günter Lühning als Initiator des Bürger-Dorfladen in Otersen das 200-seitige „Dorfladen-Handbuch – Sicherung der Nahversorgung im ländlichen Raum“ bei der Grünen Woche in Berlin präsentiert. Das Dorfladen-Handbuch beeinhaltet das Dorfladen-Konzept aus Otersen, einen umfassenden Erfahrungsbericht mit vielen wirtschaftlichen Zahlen sowie Problem-Beschreibungen und deren Lösungen. Weitere Informationen zu diesem Dorfladen-Handbuch gibt es in diesem Internetportal auf der Internetseite http://dorfladen-netzwerk.de/dorfladen-handbuch/PDF-Dateien/
Bis zur Int. Grünen Woche in Berlin im Januar 2012 soll dieses Dorfladen-Handbuch um das neue Zukunftskonzept für den Dorfladen Otersen aus dem Jahre 2010 und um aktuelle Zahlen, Erfahrungen und Erkenntnisse ergänzt und aktualisiert werden.