Bürger-Initiativen und Dorfladen-Gründer benötigen ehrliche Antworten
DORV: 82.000 € Verlustvortrag statt „ordentliche Gewinne“?
Von Günter Lühning *)
Sind Bürger-Vereine oder Dorfgemeinschaften ausreichend fachlich und kaufmännisch qualifiziert, um einen „Dorfladen von Bürgern für Bürger“ oder einen Genossenschaftsladen nachhaltig erfolgreich zu führen? Können solche Nachbarschaftsläden trotz der Schließung vieler kleiner Lebensmittelhändler überhaupt wirtschaftlich geführt werden? Oftmals wollen Handwerker, Rentner, Hausfrauen, Lehrer und viele andere mit Bürgerinitiativen die Nahversorgung im Dorf sichern, waren aber noch nie selbstständig tätig und kennen den Lebensmittel-Einzelhandel nur aus der Sicht des Kunden. Diese Bürgerinitiativen als künftige Laden-Betreiber benötigen ehrliche Antworten auf die eingangs gestellten Fragen und Berater, die transparent Chancen und Risiken aufzeigen. Schönfärberei hilft in der schwierigen, von Preiskämpfen bestimmten Lebensmittel-Branche keinem Dorfladen-Gründer weiter.
Bürgerinitiative, die Chancen und Risiken für eine Dorfladen-Gründung abwägen wollen, nutzen vielfältige Informationsquellen. Das Informationsbedürfnis wird durch Besuche in kleinen Lebensmittelgeschäften und oftmals auch durch eine Internet-Recherche gestillt. Wer bei Google die Suchbegriffe „Dorfladen“, „DORV-Laden“ oder „Nahversorgung“ eingibt, trifft auf viele Veröffentlichungen und in der Google-Rubrik „News“ werden zu den gleichen Begriffen viele aktuelle Presse-Berichte veröffentlicht.
2012 machte die Schließung des Bürger-Dorfladens im bayerischen Gmund am Tegernsee Schlagzeilen. Am 12.7.2013 wurde im Internet bei www.derwesten.de im Bericht „DORV-Laden kann sich rentieren“ berichtet, dass der DORV-Laden in Jülich-Barmen „nicht nur Mittelpunkt des dörflichen Lebens“ sei, sondern „wirft auch einen ordentlichen Gewinn ab“. Der Mitteldeutsche Rundfunk MDR Thüringen berichtete am 28. Juni über Dorfläden und im Zusammenhang mit DORV über den „Super-Tante-Emma-Laden“.
Wie im Wirtschaftleben üblich, liegen Misserfolg und Erfolg offenbar dicht beisammen – aber wo Licht ist, ist eben auch Schatten.
Unser Dorfladen-Netzwerk hat in Publikationen mehrfach deutlich gemacht, dass „nicht Gewinnmaximierung sondern Auskömmlichkeit“ das Geschäftsprinzip von Bürger-Dorfläden ist. Journalisten haben vielfach nach der „Dividende für die Dorfladen-Mitgesellschafter gefragt“. Unsere Standard-Antwort war dann immer: „Als Dividende erhalten die Mitgesellschafter Lebensqualität, weil sie täglich vor Ort einkaufen können“. Jedem Bürger-Dorfladen gönnt unser Netzwerk natürlich mindestens eine „schwarze Null“ und auch „einen ordentlichen Gewinn“, um Rücklagen für spätere Ersatz-Investitionen schaffen zu können.
Bei unserem aktuellen Fakten-Check wollten wir es nun aber genau wissen, wie es um die Wirtschaftlichkeit von Bürger-Dorfläden und den DORV-Läden in Nordrhein-Westfalen tatsächlich bestellt ist. Als zuverlässige Informationsquelle diente uns dafür die Internetseite www.bundesanzeiger.de., herausgegeben vom Bundesministeriums der Justiz. Wer dort die Suchfunktion mit den Begriffen „Dorfladen“ oder „DORV“ nutzt, erhält 231 Bilanz-Veröffentlichungen der letzten Jahre von Dorfläden in der Rechtsform von GmbH, e.G. und U.G. sowie 9 Pflicht-Veröffentlichungen von zwei DORV-Zentrum GmbH´s aus Jülich-Barmen und Völlinghausen. In jeder Pflicht-Veröffentlichung können die wichtigsten Eckdaten zu den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen eingesehen werden, sobald in der Sicherheitsabfrage die sechs abgebildeten Zeichen eingegeben wurden.
Die jüngste Pflichtveröffentlichung datierte bei unserem Fakten-Check vom 26.7.2013 und beinhaltet die Veröffentlichung der Bilanz 2012 der Dorfladen Hüinghausen (Gemeinde Herscheid, Landkreis Arnsberg im Sauerland, NRW). Nach einem Jahresfehlbetrag von 4-816 € schmolz das Eigenkapital auf 17.433 € – macht bei einer Bilanzsumme von 25.783 € ein ordentliches Eigenkapital von 68 Prozent der Bilanzsumme.
Wir interessierten uns dann für einige Dorfläden, von denen wir mehrfach in den Medien gelesen hatten. Für den Dorfladen Gelting zum Beispiel. Aus der Zeit der Anfangsjahre steht dort zwar noch ein Verlustvortrag von 27.354 € „in den Büchern“, aber nach einem Jahresüberschuss von 2.018 € in 2010 wurde 2011 mit 8.376 € wirklich ein ansehnlicher Gewinn erwirtschaftet – Hut ab und Glückwunsch. Das Eigenkapital konnte deshalb auch um gut 8.000 € auf 35.780 € und relativ stolze 58 % der Bilanzsumme verbessert werden.
Ein ähnliches Bild bietet sich dem Bundesanzeiger-Nutzer beim Dorfladen Hurlach: Verbesserung der Gewinnrücklagen auf 7.400 € und mit 35.700 € Eigenkapital wird auch hier eine Eigenkapital-Quote von deutlich über 50 % ausgewiesen.
Nächste Station: Dorfladen Paunzhausen eG. Bei diesem Bürger-Dorfladen im oberbayerischen Landkreis Freising wurden 2010 ordentliche 7.369 € Jahresüberschuss erwirtschaftet und in 2011 immerhin 4.284 €. Mit dem auf über 82.000 € gesteigerten Eigenkapital bringt es dieser Bürger-Dorfladen auf eine Rekord-verdächtige Eigenkapital-Quote von 68 % der Bilanzsumme (121.378 €).
Fazit: Mit guten Dorfladen-Konzepten, Bürger-Engagement und Eigenkapital aus einer intakten Dorfgemeinschaft werden viele „Dorfläden – von Bürgern für Bürger“ durchaus nachhaltig mit Erfolg geführt.
Die jüngsten Veröffentlichungen im Bundesanzeiger haben wir in der folgenden Tabelle zusammenfassend dargestellt:
Abschließend haben wir uns auch für die DORV-Läden in Nordrhein-Westfalen interessiert, die dem Grunde nach ebenfalls bürgerschaftlich organisierte Lebensmitteleinzelhändler sind, aber weitere Dienstleistungen integriert haben. Die DORV-Gründer aus Barmen und Völlinghausen informierten sich seinerzeit bei den bereits existierenden Dorfläden in Niedersachsen, deren Konzepte praktisch übernommen, unter anderem um Verwaltungs-Dienstleistungen ergänzt wurden und mit den vier Großbuchstaben DORV für eine Rundum-Versorgung betitelt wurden.
Bei der DORV-Zentrum GmbH Jülich-Barmen, die laut Medienbericht vom 12. Juli 2013 „ordentliche Gewinne abwirft“ waren wir bei unserem Fakten-Check dann sehr überrascht von der Wirklichkeit. Laut Pflicht-Veröffentlichung im Bundesanzeiger erwirtschaftete DORV im Jahre 2011 einen Verlust von 10.777 € – allerdings nach einem Gewinn von 43.166 € in 2010. Der gesamte Verlustvortrag als saldiertes Ergebnis der letzten Jahre in Höhe von 82.000 € lässt auf eine nicht befriedigende Ertragslage über Jahre schließen. Folge dieser Verluste ist ein negatives Eigenkapital, also eine Überschuldung in Höhe von über 48.000 Euro (Vorjahr: 38.000 €) und damit negative 39 Prozent der Bilanzsumme.
Ebenso oft wie das DORV-Zentrum in Jülich-Barmen wird auch über den 2001 gegründeten Bürger-Dorfladen in Otersen im niedersächsischen Landkreis Verden in den Medien berichtet. Bei Vorträgen vor interessierten Bürgerinitiativen aus Niedersachsen, Sachsen-Anhalt oder NRW hat dieser Dorfladen in den letzten Jahren seine wirtschaftlichen Verhältnisse stets transparent dargestellt. Sechs Jahre mit leichten Gewinnen stehen ebenfalls sechs Verlust-Jahre gegenüber.
Seit 2011 ist der Dorfladen Otersen w.V. nicht mehr Mieter eines Dorfladens, sondern Eigentümer einer eigenen Immobilie mit entsprechend hohem Gebäudewert in der Bilanz und hoher Gebäude-AfA in der Gewinn- und Verlustrechnung. Bei der Ertragslage wird deshalb auf das Ergebnis vor AfA, also den Cash-Flow abgestellt. Ende Juni wurde der Mitgliederversammlung des wirtschaftlichen Vereins (w.V.) nach Prüfung durch die Kassenprüfer und den dreiköpfigen Aufsichtsrat die Bilanz 2012 vorgelegt. Bei 363.916 € Gesamtleistung (incl. Einnahmen aus Vermietung einer Wohnung, Café-Betrieb und Photovoltaik-Anlage) betrug der Cash-Flow 7.743 Euro und das Eigenkapital 57.045 Euro oder relativ 19,3 % der Bilanzsumme in Höhe von 295.286 Euro.
Fazit unseres Fakten-Checks:
- Bei Informationsbesuchen und in Vortragsveranstaltungen sollte mit der wirtschaftlichen Situation von Bürger-Dorfläden offen und ehrlich umgegangen werden, denn manchmal ist eben nicht alles Gold, was vermeintlich glänzt
- Interessierten Bürger-Initiativen und auch recherchierenden Journalisten ist gelegentlich ein Blick in den Bundesanzeiger zu empfehlen
*) Der Verfasser ist Vorsitzender des Dorfladen Otersen w.V. und Sprecher des 2004 in Otersen gegründeten Dorfladen-Netzwerkes