Mindestlohn 8,50 €: Erwerbstätigkeit bei kleinen Nahversorgern + Dorfläden

Das Thema „Mindestlohn“ ist in diesen Tagen ein viel diskutiertes Thema in der Politik. Für die kleinen Nahversorger des Lebensmitteleinzelhandels und damit auch für die Dorfläden im ländlichen Raum sind die Personalkosten der mit Abstand größte Kostenfaktor – engagierte Mitarbeiterinnen in einem Dorfladen zugleich aber auch ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Für eine Studie „Nahversorgung im ländlichen Raum“ *) wurden vom Thünen-Institut 2012 gut 100 kleine Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfte und Nahversorger im ländlichen Raum befragt und untersucht. Die Studie beschäftigte sich auch mit der Wertschöpfung durch die wohnortnahe Versorgung mit Artikeln des täglichen Bedarfs und durch die Erwerbstätigkeit. Das Thünen-Institut ermittelte einen durchschnittlichen Stundenlohn (Mittelwert) in Höhe von

  • 7,50 € für „Unqualifizierte“  *)
  • 9,40 € für „Qualifizierte“       *)

und führte in der Studie aus, das damit der Großteil der Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor liege. „Dieses Ergebnis ist allerdings nicht außergewöhnlich für den Einzelhandel“, heißt es in der Studie – und weiter: „So bezogen bspw. im Jahr 2010 etwas mehr als zwei Drittel aller Beschäftigten im Einzelhandel mit Gütern des täglichen Bedarfs einen Niedriglohn“.

*) Quelle: BMVBS-Online-Publikation Nr. 02/2013 „Nahversorgung im ländlichen Raum“ – ISSN 1869-9324

Erwerbstätigkeit und Stundenlöhne in Dorfläden KopieOftmals werden in kleinen Dorfläden Frauen beschäftigt, die nicht im Lebensmittel-Einzelhandel ausgebildet wurden. In vielen Dorfläden werden aus Kostengründen überwiegend Mini-Jobberinnen im kleinen Lebensmittel-Einzelhandel beschäftigt und Sozialversicherungs-pflichtig Beschäftigte sind eher in der Minderheit.

Der Dorfladen Otersen in Niedersachsen beschäftigt ausnahmslos Frauen, die nicht im Lebensmittel-Einzelhandel ausgebildet wurden und hat damit seit 2001 durchaus gute Erfahrungen gemacht. Wichtig ist beim Dorfladen-Personal die Bereitschaft zum Lernen und Weiterentwicklung und eine starke Kunden-Orientierung und Freundlichkeit.

Beim Dorfladen Otersen werden aber 3 der insgesamt 4 Mitarbeiterinnen Sozialversicherungs-pflichtig beschäftigt. Nur eine Mitarbeiterin ist als Mini-Jobberin beschäftigt. Für Sozialvers.-pflichtig Beschäftigte zahlt der Dorfladen Otersen einen Stundenlohn von 8,00 € und zahlt der Teamleiterin einen angemessenen Aufschlag. Mit diesem Stundenlohn werden 0,50 € pro Stunde über dem vom Thünen-Institut erhobenen Mittelwert von 7,50 € für nicht im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ausgebildete Beschäftigte gezahlt.

Überwiegend handelt es sich bei den Dorfladen-Mitarbeiterinnen um Frauen aus dem Dorf, die zu Fuß oder per Fahrrad in wenigen Minuten ihren Arbeitsplatz erreicht haben. Bei einer Teilzeitbeschäftigung in einem Dorfladen am eigenen Wohnort benötigen die Mitarbeiterinnen nicht unbedingt einen 2. PKW in der Familie und sparen neben Fahrtkosten auch noch Zeit, während bei einem Teilzeit-Job z.B. in der nahen Kreisstadt oftmals 10 bis 15 Minuten Fahrzeit für die Hinfahrt und nochmals 10 bis 15 Minuten für die Rückfahrt erforderlich wären.

Sobald es zu einem flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde auch für Kleinstbetriebe mit weniger als 5 Mitarbeiterinnen kommen sollte, müsste der Dorfladen Otersen seine Stundenlöhne um 0,50 € pro Stunde von 8,00 € auf 8,50 € erhöhen und würde damit vor eine große Herausforderung gestellt. Der Anstieg der Personalaufwendungen um knapp 6 % würde bei jährlichen Personalkosten von rd. 50.000 € zu Mehrkosten von gut 2.900 € führen.

Kleine LEH-Betriebe, die Löhne für Unqualifizierte auf dem Niveau des Mittelwertes von 7,50 € zahlen, müssten bei einem Mindestlohn von 8,50 € ihre Stundenlöhne um 1,00 Euro oder relativ um fast 12 % erhöhen. Um zusätzliche Kosten von 12 % und jährlich fast 6.000 € auffangen zu können, müsste jeder Dorfladen einen zusätzlichen Jahresumsatz von rd. 30.000 € erzielen. Bei 20 % Rohertragsquote blieben von einem zusätzlichen Jahresumsatz von 30.000 € rund 6.000 € zusätzlicher Rohertrag in der Dorfladen-Kasse. Damit könnten 6.000 € Mehraufwand für die Verkäuferinnen aufgefangen werden.

Hört sich einfach an, ist es aber nicht.

In Zeiten des demographischen Wandels mit sinkenden Einwohnerzahlen im ländlichen Raum sinkt für die kleinen Dorfläden auch die Zahl der Kunden. Vor diesem Hintergrund ist jeder Dorfladen froh, wenn er seinen Vorjahres-Umsatz stabil halten kann und nicht von Umsatz-Rückgängen geplagt wird. Den Umsatz von 300.000 € mal eben so auf 330.000 € steigern zu können wird in den meisten Fällen „Wunsch-Denken“ bleiben.

Die kleinen LEH-Geschäfte sind bereits durch die permanent steigenden Energiekosten arg gebeutelt. Der Dorfladen Otersen hat bereits im November 2012 einen Anstieg der Energiekosten um 9,7 Cent pro Kilowattstunde in den letzten 10 Jahren und damit einen Anstieg der Stromkosten um 77 % im Vergleich zu 2003 und Mehrkosten von jährlich 4.000 € (im Vergleich zu 2003) ermittelt.

Viele kleine Nahversorgungsgeschäfte werden durch steigende Energiepreise und Personalkosten-Erhöhungen also doppelt negativ betroffen. Da Umsatz-Steigerungen wenig realistisch sind, werden viele Dorfläden mit spitzem Rotstift neu kalkulieren müssen und notfalls mit einer Reduzierung der Öffnungszeiten und der Wochenarbeitszeiten der Mitarbeiterinnen reagieren müsen. Möglich, das zahlreiche Dorfläden dann die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zunehmend in Mini-Jobs wandeln – ob das im Interesse des Gesetzgebers und der Sozialkassen ist?

Wenn in einigen Branchen Stundenlöhne von 3 oder 4 Euro bezahlt werden, ist das unverschämt. Wenn Mitarbeiter in großen Supermärkten für das Einräumen der neuen Ware nur einen Stundenlohn von 4,50 € erhalten, ist das ebenfalls nicht akzeptabel und fordert zu einem Mindestlohn heraus – keine Frage.

Aber: Ein flächendeckender Mindestlohn, nicht nach Betriebsgröße und Ertragslage von Kleinstbetrieben differenziert, würde viele kleine Dorfläden vor große Probleme stellen – auch zum Nachteil der Menschen im ländlichen Raum insgesamt.

Günter Lühning, Vorsitzender Dorfladen Otersen w.V. und Sprecher des Dorfladen-Netzwerkes