„Bürgerschaftliche Dorfläden sind soziale Treffpunkte für die Dorfbevölkerung und haben eine sozio-kulturelle Funktion für alle Generationen“ – so lässt sich ein 25-minütiger Dialog bei der Int. Grüne Woche in Berlin zusammenfassen. Bei der Gesprächsrunde „Die Multi-Talente: Dorfläden für mehr Lebensqualität“ antworteten Silke Noeller-Granget (Gelting, Bayern) und die beiden Vorsitzenden der Dorfladen-Bundesvereinigung, Günter Lühning (Otersen, Niedersachsen) und Wolfgang Gröll (Starnberg, Bayern) am 21. Januar auf der LandSchau-Bühne auf die Fragen der NDR-Fernsehmoderatorin Heike Götz.„Warum sind Bürgerläden Multi-Talente“ wollte Heike Götz von Wolfgang Gröll wissen. „Die modernen Dorfläden 4.0 verfügen in der Regel über ein Café oder eine Café-Ecke, die sich dann schnell zu dörflichen Treffpunkten entwickeln – zum lebendigen Herz eines Dorfes, aus dem sich die meisten anderen Infrastruktur-Einrichtungen verabschiedet haben. Dorfläden bieten nicht den Lebensmittel-Verkauf, sondern auch viele Service-Einrichtungen und Dienstleistungen und sind deshalb multifunktional“.
„Warum ist der Dorfladen Gelting in Bayern multifunktional“ wandte sich Heike Götz mit der nächsten Frage an die Aufsichtsratsvorsitzende Silke Noeller-Granget aus Gelting im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. „Unser Dorfladen ist nicht nur ein kleiner Supermarkt, sondern wir haben eine Cafe-Ecke, einen kleinen Biergarten mit einem Kletterzug für Kinder. Wir veranstalten jedes Jahr im Herbst, am Tag des offenen Denkmals, ein großes Dorffest und der Laden ist auch ein zentraler Treffunkt für unsere Dorfbewohner. Die Seniorenrunde trifft sich zum Kaffee und es gibt eine Schafkopf-runde. Im Sommer verkaufen wir italienische Eiscreme frisch hergestellt vom Italiener aus dem Nachbarort. Es gab zu Anfang viele Skeptiker, aber jetzt hat sich der Dorfladen als lebendiger Mittelpunkt in unserem Ort etabliert“.
Günter Lühning, Silke Noeller-Granget, Heike Götz und Wolfgang Gröll (von links)
Von Günter Lühning, Vorsitzender des 2001 eröffneten Dorfladens in Otersen im niedersächsischen Landkreis Verden wollte Heike Götz eine Bilanz nach 17 Jahren hören. „Unsere Bilanz fällt durchwachsen aus, wir hatten Höhen und Tiefen, haben aber bisher alle Herausforderungen gemeistert. Wie fast alle Dorfläden erhalten unsere 144 Mitglieder, die über 100.000 € Eigenkapital investiert haben, keine Rendite in Euro – dafür aber täglich Lebensqualität“, bilanzierte Günter Lühning, der seit 2016 auch Vorsitzender der Dorfladen-Bundesvereinigung ist.
Zum Thema Rendite ergänzte Wolfgang Gröll: „Die größte Rendite eines Dorfladens ist die Lebensqualität für die Menschen in ihrem Wohnort – und die ist unbezahlbar“.
„Wie ist es in Gelting“ fragte Heike Götz bei Silke Noeller-Granget nach. „Wir sind mit 250 Anteilen á 180 € gestartet also mit rund 45000 €. Sie wurden verwendet für die Umbauarbeiten, den Kauf der Ladeneinrichtung, der Grundausstattung mit Waren und zu Anfang auch um alle übrigen anfallenden Kosten zu begleichen. Unsere Genossenschaftsmitglieder bekommen als Rendite aktuell lediglich eine Brotzeit bei der Generalversammlung. Darüber hinaus wird der erwirtschaftete Überschuss in die Rücklagen eingestellt und für notwendige Investitionen verwendet. Aktuell ist unsere Kühltheke defekt und muss ersetzt werden, was Kosten von mehreren tausend Euro verursacht“, berichtete die Aufsichtsratsvorsitzende aus Oberbayern.
„Warum sind Menschen in den Dörfern bereit, eigenes Geld und ehrenamtliche Arbeit zu investieren, wenn Sie keine Zinsen für ihr Kapital erhalten? fragte Heike Götz. „Wenn Inhaber-geführte Läden und das Gasthaus meist aus Altersgründen ebenso wie Banken, Post und Handwerksbetriebe im Dorf längst geschlossen hätten, wollen sich Dorf-Einwohner ein Stück Eigenständigkeit, eine Versorgungs-Einrichtung erhalten, damit das Dorf lebendig bleibt und nicht zum sterbenden Dorf wird. Es ist eine Investition in die Heimat“, antwortete Günter Lühning nach der Gesprächsrunde auf der Bühne einem Journalisten vor der LandSchau-Bühne auf die gleiche Frage.
Heike Götz fragte Wolfgang Gröll nach dem Erfolg von Dorfläden. „Der Erfolg eines jeden Dorfladens hängt vom Engagement der Bürger und von der Herzlichkeit des Personals ab. Auskömmlichkeit statt Gewinn-Maximierung ist in der Regel das Geschäftsprinzip von Bürgerläden, die als Selbsthilfeeinrichtungen zu betrachten sind“, so Wolfgang Gröll.
„In ihrem 500 Einwohner zählenden Dorf Otersen, das ich schon mit meiner Landpartie-Sendung besucht habe, hat nun auch das letzte Dorf-Gasthaus aus Altersgründen geschlossen“ wandte sich Heike Götz an Günter Lühning. „Ja das stimmt leider. Seit einem Jahr fehlt uns ein zentraler Ort mit Kultursaal für Familienfeiern, Vereins- und Kultur-Veranstaltungen. Ersatz zu schaffen ist unsere aktuelle Herausforderung. Glücklicherweise verfügen wir über unser Mehrgenerationen-DorfCafé unter einem Dach mit dem Dorfladen. Hier können zumindest Veranstaltungen bis 40 oder 50 Personen durchgeführt werden“, berichtete Günter Lühning und ergänzte „ohne Dorfladen und DorfCafé“ hätten wir gar nichts mehr. Also ohne Bürgerengagement gehen auf dem Lande die Lichter aus.
24 Stunden vor der Gesprächsrunde am 21. Januar war der Dorfladen Gelting in Berlin als „Dorfladen des Jahres 2018“ in der Kategorie „größe Läden / größere Dörfer“ prämiert worden. Heike Götz erkundigte sich deshalb nach den Feierlichkeiten in Gelting. „Wir haben gestern zusammen mit den in Berlin anwesenden Dorfladen-Kollegen gefeiert und auf unserer Facebookseite sind bereits einige Glückwünsche angekommen. Groß gefeiert wird im Herbst, am Tag des offenen Denkmals am 9. September 2018. An diesem Tag findet traditionell unser Dorffest statt, in diesem Jahr zum 10. Mal. Außerdem wird es im Laufe des Jahres noch einige Jubiläumsaktionen für unsere Kunden geben“ berichtete eine freudestrahlende Silke Noeller-Granget.
Prämierung des Dorfladens Gelting zum Dorfladen des Jahres 2018 am 20.1.2018 in Berlin