Kommunale Förderung für Dorfläden in Niedersachsen

Die Zahl der Lebensmittelgeschäfte ist seit 1970 von 160.000 auf unter 39.000 im Jahr 2012 drastisch gesunken. Immer öfter stehen die Menschen im ländlichen Raum ohne Nahversorgung da – und immer öfter ruft das Bürgermeister, Gemeinden und engagierte Bürger auf den Plan. Gemeinsam werden mit kommunaler Förderung und mit EU- und Landesmitteln „Dorfläden von Bürgern für Bürger“ als Selbsthilfeeinrichtungen gegründet und betrieben. Das kommunale Engagement in Niedersachsen zur Sicherung der Nahversorgung und damit einer wichtigen Infrastruktur-Einrichtung ist dabei durchaus vielfältig – hat jetzt das Dorfladen-Netzwerk recherchiert und transparent dargestellt.„Gemeinden leisten finanzielle Zuschüsse an Bürger-Gesellschaften, die dann das Nahversorgungs- und Dienstleistungenzentrum betreiben oder Kommunen kaufen bzw. pachten Gebäude oder Ladenlokale, um diese Ladenflächen dann preisgünstig oder sogar völlig mietfrei an einen selbstständigen Kaufmann als Ladenbetreiber zu verpachten oder die Räumlichkeiten für einen „Dorfladen – von Bürgern für Bürger“ zur Verfügung zu stellen“, fasst Günter Lühning, Sprecher des Dorfladen-Netzwerkes seine aktuellen Recherchen zusammen.

Insbesondere Gemeinden im ländlichen Raum sorgen nicht mehr nur für die übliche Infrastruktur mit Straßen, Wirtschaftswegen, Schulen und Kindergärten, sondern fördern immer öfter den Erhalt wohnortnaher Lebensmittel- und Dienstleistungsgeschäfte und sorgen sich mittlerweile auch um die ärztliche Versorgung.

Bendingbostel_1Schon in der 2. Hälfte der 1990er Jahre erkannte der damalige Gemeindedirektor der niedersächsischen Gemeinde Kirchlinteln bei Verden, Gert Rickmeyer die Bedeutung der Sicherung der Nahversorgung. Die Gemeinde, der Landkreis und das Land Niedersachsen zogen an einem Strang und finanzierten in Bendingbostel den Umbau einer alten Scheune zu einem Dienstleistungszentrum. Seit 1997 wird dieses kommunal und staatlich geförderte Gebäude als wohl erster Bürger-Dorfladen in Niedersachsen vom „Lintler Laden“ genutzt. Der Nachbarschaftsladen „Lintler Laden“ wird von einer über 20-köpfigen Bürger-GbR seit nunmehr 17 Jahren betrieben. Aufgrund der kommunalen Förderung kann die Bürgergesellschaft die Ladenfläche 20 Jahre mietfrei nutzen. Im Jahre 2000 wurde die Weitsicht des Gemeindedirektors Rickmeyer und das Bürgerengagement durch den Europäischen Dorferneuerungspreis für die Gemeinde Kirchlinteln (Dorf-Region „Lintelner Geest“ mit dem „Lintler Laden“ als Kristallisationspunkt) belohnt.

Mehr zum Bürger-Dorfladen „Lintler Laden“: http://dorfladen-netzwerk.de/niedersachsen/bendingbostel/

Dorfladen Otersen in Niedersachsen

Dorfladen Otersen in Niedersachsen

Im gleichen Jahr, konkret am 6.12.2000, wurde in der Gemeinde Kirchlinteln bei Verden der 2. Bürger-Dorfladen gegründet: Im niedersächsischen Dorf Otersen legten 63 Einwohner 103.000 DM Eigenkapital zusammen und gefördert mit 25.000 DM Zuschuss der Gemeinde Kirchlinteln und 25.000 DM aus dem EU-Programm LEADER entstand der Dorfladen Otersen, der am 1.4.2001 eröffnet wurde. 10 Jahre später, Anfang April 2011 zog der Bürgerladen Otersen aus den gemieteten Räumen aus und bezog größere Räumlichkeiten in einem Vereins-eigenen Gebäude mit 180 qm Dorfladen- und Dienstleistungszentrum und 70 qm Café. Eigentümer sind 145 Vereinsmitglieder, die inzwischen insgesamt 100.000 € Eigenkapital einbrachten, 5.000 Stunden Eigenleistungen beim Bau erbrachten und rund 200.000 € langfristige Gebäude-Finanzierung schultern. Rund ein Drittel der Gesamtkosten steuern öffentliche Kassen bei uns zwar

  • rund 65.000 € Zuschuss der Gemeinde Kirchlinteln
  • rund 103.000 € Zuschuss aus Landes- und EU-Mitteln (ZILE/LEADER)

Mehr zum Dorfladen Otersen: http://dorfladen-netzwerk.de/niedersachsen/otersen/

Ganz ohne Bürger-Engagement, dafür aber mit großem Engagement der Gemeinde Spahnharrenstätte im niedersächsischen Landkreis Emsland gelang 2009 die Sicherung der Nahversorgung in einer 1.400 Einwohner zählenden Gemeinde im ländlichen Raum.

Spahnharrenstätte1

Die Gemeinde Spahnharrenstätte beantragte eine Förderung aus dem EU-LEADER-Programm nach der ZILE-Richtlinie  zur

  • Fördermaßnahme 321 Dienstleistungseinrichtungen
  • zur Grundversorgung für die ländliche Wirtschaft und Bevölkerung
  • – konkret 321.2 “Einrichtung von Dorf- und Nachbarschaftsläden”

Der Kosten- und Finanzierungsplan stellte sich wie folgt dar:

63.000 € Gesamtkosten

  • 33.320 € Gemeinde Spahnharrenstätte = 52,9 %
  • 10.000 € Landkreis Emsland = 15,9 %
  • 19.680 € EU-LEADER-Förderung = 31,3 %

Pächter des Dorfladens in Spahnharrenstätte ist die Bäckerei Siemer, die in dem Dorfladen neben dem Lebensmittel-Einzelhandel auch ein Café betreibt. Der Pächter investierte in die Inneneinrichtung. Die Pachteinnahmen nutzt die Gemeinde als Eigentümerin zur Deckung der Kosten für Instandhaltung, Wartung und Versicherungen.

Mehr zu Spahnharrenstätte: http://dorfladen-netzwerk.de/2014/04/gemeinde-foerderte-dorfladen-spahnharrenstaette/

Aktuell werden in 6 niedersächsischen Gemeinden / Dörfern Bürger-Dorfläden und Dienstleistungszentren von engagierten Gemeinden und/oder Einwohnern geplant:

  • Osterbruch im Landkreis Cuxhaven, mit Förderung der Gemeinde
  • Rhade im Landkreis Rotenburg, mit Förderung der Gemeinde
  • Adelheidsdorf im Landkreis Celle, mit Förderung der Gemeinde
  • Leese im Landkreis Nienburg, mit Förderung der Gemeinde
  • Linsburg im Landkreis Nienburg, mit Förderung der Gemeinde
  • Bolzum und Wehmingen, Stadt Sehnde in der Region Hannover

Wie zuvor in Bendingbostel (1997), Otersen (2001 und 2011) und Spahnharrenstätte (2009) wollen sich die jeweiligen Kommunen finanziell für den Erhalt der Nahversorgung und damit einer wichtigen Einrichtung der Daseinsvorsorge finanziell engagieren:

OSTERBRUCH: Die Gemeinde hat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben

RhadeRHADE: Die Gemeinde hat das ehemalige Dorfgasthaus in der Ortsmitte in der Zwangsversteigerung erworben und plant im Rahmen einer Verbund-Dorferneuerung 2015 die Sanierung und die Umnutzung zu

  • Dorfladen
  • DorfCafé
  • Jugendraum
  • Dorfgemeinschaftshaus

Der Dorfladen soll jedoch nicht von der Gemeinde, sondern von einer Bürgergesellschaft als Mini-Genossenschaft betrieben werden. Dafür werden die Bürger voraussichtlich 60.000 € Eigenkapital und in hohem Maße Eigenleistungen erbringen.

Mehr zu Rhade: http://dorfladen-netzwerk.de/niedersachsen/rhade/

LEESE: Die Mittelweser-Gemeinde will den sogenannten „Leeser Treff“ erwerben, mit EU-Förderung und kommunalen Mitteln umbauen und an eine Bürgergesellschaft günstig verpachten. Die Bürgergesellschaft wird den Dorfladen in der 1.700 Einwohner zählenden Gemeinde betreiben. Von Bürgern werden dafür rund 40.000 € Eigenmittel aufgebracht. Ohne die kommunale Bezuschussung wäre der Bürger-Dorfladen als letztes Lebensmittelgeschäft in der niedersächsischen Gemeinde aber nicht möglich.

Mehr zu Leese: http://dorfladen-netzwerk.de/niedersachsen/leese/

Adelheidsdorf_Skizze_mit LogoADELHEIDSDORF: Die Gemeinde südwestlich von Celle hat eine Machbarkeitsstudie finanziert, wird die Ladenfläche des ehemaligen Schlecker-Marktes langfristig pachten und mit EU-Fördermitteln (50.000 € zugesagt) und Mitteln aus der Gemeindekasse den Umbau finanzieren. Die Ladenfläche wird dann günstig an die engagierten Bürger verpachtet, die ein Dienstleistungszentrum mit Dorfladen und Café betreiben und die Nahversorgung somit sichern wollen.

Mehr zu Adelheidsdorf: http://dorfladen-netzwerk.de/niedersachsen/adelheidsdorf/

Für das künftige Dienstleistungszentrum Bolzum-Wehmingen (dem aktuell jüngsten Dorfladen-Projekt in Niedersachsen) laufen die Gespräche und Verhandlungen mit Kommune und der Region Hannover.

Unsere aktuellen Recherchen zum kommunalen Engagement zur Sicherung der Nahversorgung in Niedersachsen haben wir in folgender Übersicht transparent dargestellt.

Dorfläden mit kommunaler Förderung in Niedersachsen Kopie

In Bayern treten Kommunen nicht nur als Förderer von Dorfläden auf, sondern sind über eine kommunale GmbH als alleiniger Gesellschafter sogar Betreiber von Dorfläden – z.B. in Heising im Oberallgäu.

Ob in Niedersachsen oder Bayern – die Gemeinden treten mit ihrer Dorfladen-Förderung nicht mit Aldi oder Edeka in Konkurrenz, sondern

  • leisten nur einen Beitrag zum Ausgleich der negativen Folgen des Expansionsbestrebens der großen Ketten und
  • der Konzentration von Aldi, Edeka, Rewe & Co. auf immer größere Standorte in Gemeinden mit mehr als 3.000, vorzugsweise mit mehr als 5.000 Einwohnern sowie
  • der Vernachlässigung kleiner Dörfer und Gemeinden, die von Unterversorgung negativ betroffen sind.

Wer die Regelungen im Grundgesetz bezüglich gleichwertiger Lebensbedingungen Ernst nimmt, kommt an einer Förderung durch EU, Land und Gemeinden nicht vorbei“, betont Günter Lühning, Sprecher des Dorfladen-Netzwerkes und Kreistagsabgeordneter und Ratsherr in Niedersachsen. Lühning empfiehlt den Einwohnern in Dörfern ohne eigenen Laden jedoch, nicht nur die kommunale Förderung und Bezuschussung zu beantragen, sondern „Eigeninitiative statt Unterversorgung“ als Leitmotiv zu wählen. „Mit angemessenen Eigenkapital-Beträgen und Eigenleistung der Bürger sowie Zuschüssen von Gemeinden, Land und EU können Lebensqualität und Zukunftsfähigkeit im ländlichen Raum positiv beeinflusst werden“, betonte Günter Lühning.

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