Westfalen holten sich Rat aus Bayern und Niedersachsen: Bürger-Netzwerk und Dorfladen für Dedinghausen

Dedinghausen1aImmer mehr Menschen in aktiven Dörfern solidarisieren und engagieren sich, um gemeinsam im Dorf, in vertrauter Umgebung alt werden zu können und um für junge Familien attraktiv zu sein. Im 1.800 Einwohner zählenden Dedinghausen bei Lippstadt fand am 29. Juni 2013 eine ganztägige Dorf-Konferenz statt. Im Mittelpunkt standen das geplante Bürger-Netzwerk als „Netzwerk von Hilfsbedürftigen und Helfern“ und die wohnortnahe Grundversorgung. Mit Wolfgang Gröll aus Starnberg und Günter Lühning aus Otersen hatten sich die Organisatoren der Dorfkonferenz fachkundigen Rat und langjährige Erfahrungen in Sachen „Dorfladen von Bürgern für Bürger“ aus Bayern und Niedersachsen in das westfälische Dorf geholt.Dedinghausen1Am Vormittag ging es in der Scheune des Ateliers T 8 um die Gründung eines Bürger-Netzwerkes. Themen wie Seniorengerechte, barrierefreie Wohnungen und die gegenseitige Unterstützung, Hilfe und Pflege in einer Dorfgemeinschaft waren die Themen, die von Vertretern der Caritas und von Rainer Kroll aus Eichstetten in Rheinland-Pfalz behandelt wurden. „Was müssen wir tun für die Zukunft unseres Dorfes“ war eine zentrale Fragestellung der 2. Dorfkonferenz – insbesondere, wenn die Einwohnerzahlen sinken und sich zunehmend „Einsamkeit im Dorf breit macht, weil die Kinder längst aus dem Haus und auch aus dem Dorf sind“. Rainer Kroll berichtete über die erfolgreichen Aktivitäten der „Bürgergemeinschaft Eichstetten e.V. (www.buergergemeinschaft-eichstetten.de), mit Senioren-Wohnungen im ehemaligen Dorf-Gasthaus, einer Wohngruppe für Demenzkranke und einem Bürgerbüro zur Vermittlung zwischen Hilfsbedürftigen und Helfern.

Dedinghausen2So ein Bürger-Netzwerk soll im Herbst auch in Dedinghausen gegründet werden. Berichtet wurde über die hohe Resonanz bei einer schriftlichen Befragung und insgesamt 357 „Inseraten“, mit denen viele Bürger aller Altersgruppen Hilfe nachgefragt oder Hilfeleistungen angeboten hätten. „Das Füllhorn ist voll“ wurde betont, weil 262 Angebote die 95 Nachfragen von Hilfsbedürftigen deutlich übertreffen. Die Hilfe-Angebote und die Gesuche sind vielfältig und reichen von der Begleitung zum Arzt, zum Einkauf oder zur Behörde, Gespräche und Spaziergänge, Rasen mähen und handwerkliche Unterstützung, Haushaltshilfen, Hilfe bezüglich PC und Handy bis hin zur Betreuung von Kindern und Senioren sowie der Pflege vor Ort, um auch „Betreutes Wohnen“ zu Hause zu ermöglichen. „Alt hilft jung – jung hilft Alt“ ist dabei ein Motto von solchen Bürger-Netzwerken, die sich durch geringe Mitgliedsbeiträge von 3 bis 5 Euro monatlich, Förderbeiträge oder Sponsoring finanzieren. Einige Hilfeleistungen werden ehrenamtlich und unentgeltlich angeboten, andere Leistungen werden bürgerschaftlich gegen Zahlung einer Aufwandsentschädigung erbracht. Ein mit 450 €-Kräften besetztes Bürgerbüro vermittelt zwischen Anbieter und Nachfrager und erfüllt das Netzwerk mit Leben.

Das zweite Schwerpunkt-Thema lautete „Unser Dorfladen – Einkaufen wo wir leben?!“  Zur Sicherung der Nahversorgung empfahl Günter Lühning einen „Dorfladen – von Bürgern für Bürger“ und berichtete von der Gründung und den Erfahrungen seit 2001 mit dem Bürger-Laden im niedersächsischen Otersen, der sich vom kleinen Lebensmittel-Markt längst zum „Lebens-Mittelpunkt des Dorfes“ entwickelt habe. Der Dorfladen Otersen (www.dorfladen-netzwerk.de/niedersachsen/otersen/) sei inzwischen mehr als nur Einkaufen auf 180 qm Verkaufsfläche mit 2.700 verschiedenen Artikeln, betonte Günter Lühning, Vorsitzender des Dorfladens Otersen und Sprecher des Dorfladen-Netzwerkes.

  • Dienstleistungen und Service (Paketshop, Briefmarken, Gesundheitsterminal, Bargeld-Auszahlungen etc.)
  • Soziale Angebote im Mehrgenerationen-DorfCafé
  • Förderung der Sanften Erholung

seien weitere Säulen des von 140 Bürgern bzw. Haushalten getragenen Dorfladen- und Café-Betriebes im nur 500 Einwohner zählenden Dorf Otersen, das 2007 einer der Bundessieger im Bundeswettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ geworden war. Dorfladen und Café leisten in Otersen einen wichtigen Beitrag zum Ziel „Alt werden können in vertrauter Umgebung„.

2013_Dedinghausen_Stand 2013_06_28_Otersen

Günter Lühning berichtete, dass sich die Zahl der Lebensmittel-Einzelhandelsgeschäfte in 50 Jahren von 160.000 auf unter 40.000 reduzierten hätte und die Wege zum Einkaufen immer länger würden. Jede Entwicklung erzeuge (oftmals) aber auch eine Gegenbewegung und deshalb gäbe es inzwischen über 200 von Bürgergesellschaften betriebene Dorfläden. Vor einigen Jahren und aktuell im Frühjahr 2013 hätten Studien der großen Beratungsgesellschaften Mc Kinsey und KPMG dokumentiert, dass „Tante Emma“ wieder auf dem Vormarsch sei und das „Einkaufen um die Ecke“ an Bedeutung gewinne – insbesondere aufgrund des Demographischen Wandels („weniger, älter, bunter“).

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Der Gast aus Niedersachsen räumte auch mit dem Vorurteil auf, das kleine Läden automatisch teurer sein müssten und nannte aktuelle Zahlen eines Warenkorb-Vergleiches zwischen Supermarkt, Discounter und dem Dorfladen Otersen. Lühning räumte zwar ein, das die Führung eines Bürger-Dorfladens kein Selbstläufer sei, machte den engagierten Einwohnern in Dedinghausen aber Mut, das sie sich nach über 10 Jahren ohne Lebensmittelladen im Dorf die Einkaufsmöglichkeit und damit auch Lebensqualität und Zukunftsfähigkeit für´s Dorf zurückholen können.

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So sah es auch Unternehmensberater Wolfgang Gröll aus Starnberg bei München aufgrund seiner über 20-jährigen Erfahrung in der Einzelhandels-Beratung. Gröll hatte im Mai erstmals in Dedinghausen referiert, nachdem der Arbeitskreis Dorfladen Dedinghausen am 23. März 2013 den Dorfladen Otersen besucht hatte. Inzwischen sei eine Bürgerbefragung ausgewertet worden und Wolfgang Gröll hatte sich umfassend mit den Chancen und Risiken eines Dorfladens in Dedinghausen beschäftigt. 87 % der Einwohner in Dedinghausen wünschten sich eine Verbesserung der Nahversorgung und 68 % wollen einen Dorfladen erläuterte Wolfgang Gröll einige der Umfrageergebnisse. Bei einem Kaufkraft-Potenzial von 3,2 Millionen Euro habe ein Dorfladen in Dedinghausen gute Chancen, obwohl Supermärkte und Discounter nur 2 bis 3 Kilometer entfernt in Lippstadt und Rixbeck ansässig sind. Die Bürger aus Dedinghausen müssten den Einkauf vor Ort und einen neuen Dorfladen nur ausreichend genug Wert schätzen betonten die Fachleute. Nachdem Günter Lühning und Wolfgang Gröll viele Fragen interessierter Bürger beantwortet hatten wurden die Bürger gebeten sich, sich in Listen einzutragen, wenn eine Beteiligung an der Gründung eines Bürger-Dorfladens mit einem Kapitalbetrag von z.B. 250 Euro beabsichtigt wird. 50 Bürger trugen sich zum Abschluss der Dorfkonferenz in die Gründer-Listen für einen Dorfladen Dedinghausen ein. Inzwischen beabsichtigen insgesamt 70 Bürger die Gründung eines Bürger-Dorfladens, für den die Ampel inzwischen wohl  auf „Grün“ steht.  Mit einem ökomenischen Gottesdienst in der Atelier T8-Scheune ging ein für die Dorf-Zukunft bedeutender Tag zu Ende – morgens hatte es noch geregnet – am Abend schien aber die Sonne über Dedinghausen.