Kleine Lebensmittelgeschäfte werden wieder an Bedeutung gewinnen. Der persönliche Kontakt zwischen Käufern und Kaufleuten – insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels – wird an Wertschätzung zunehmen. Dies sind Ergebnisse einer aktuellen Studie des Beratungsunternehmens KPMG und des GDI Gottlieb Duttweiler Institute, die sich mit der Zukunft des Einkaufens in Deutschland und der Schweiz beschäftigt haben. Auf der ermittelten Basis entwickeln die Verfasser vier Szenarien für das künftige Bild des Lebensmitteleinzelhandels und stellen zehn Thesen auf. Das Bild des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland und der Schweiz werde sich in den kommenden zwölf Jahren stark wandeln, heißt es in der jetzt veröffentlichten Marktanalyse. Während kleinflächige Geschäfte, Convenience-Shops und der Online-Handel gute Perspektiven haben dürften, sollten sich großflächige Supermärkte und Discounter auf härtere Zeiten einstellen. In die Studie flossen außer zahlreichen Daten Gespräche mit führenden Marktteilnehmern mit ein.
Wesentliche Ursachen für den zu erwartenden Umbruch im Lebensmitteleinzelhandel sind die Alterung der Bevölkerung, steigende Energiepreise sowie veränderte Ansprüche der Kunden an Gesundheit, Flexibilität und Internet-Anbindung. KPMG und GDI definieren vier Grundformen für den erfolgreichen Lebensmitteleinzelhandel der Zukunft:
- Small Mart: Lokale Läden („Tante-Emma-Läden“) mit hoher sozialer und emotionaler Komponente, die zentral liegen und leicht zu erreichen sind.
- Smart Mart: Technologisch gut vernetzte Kunden nehmen ihre individualisierten Produkte an Einkaufs- oder Abholstellen selber in Empfang.
- All Mart: Große Läden, die bei niedrigen Logistikkosten ein umfangreiches und verändertes Sortiment anbieten, das konsequent auf Emotionalität ausgerichtet ist.
- Call Mart: Online-basierte Ladenkonzepte, die aufgrund niedriger Logistikkosten Kunden mit einem hohen Anspruch an Funktionalität flexibel beliefern.
Dazu sagt KPMG-Partner Stephan Fetsch: „Auch Discounter dürften es wegen ihrer Funktion schwer haben, sich in einem der vier von uns identifizierten Erfolg versprechenden Szenarien wiederzufinden. Besser sehen die Perspektiven für kleinflächige Geschäfte und Convenience-Shops aus, die sowohl emotional wie auch funktional überzeugen können und nicht unter hohen Logistikkosten ächzen.“
Die Experten stellen zehn Thesen zur Zukunft des Lebensmitteleinzelhandels auf:
1. Online wird nicht Marktstandard: Der Online-Anteil im deutschen Food-Markt wird moderat bleiben. Die Bedürfnisse nach Verfügbarkeit und Spontanität überwiegen.
2. Nischenlösungen haben Umbruchpotenzial: Der Wunsch nach „sicheren“ und authentischen Nahrungsmitteln steigt. Biolieferdienste und die Produktion direkt im Laden sind erfolgsversprechende Lösungen.
3. Einkauf um die Ecke gewinnt weiter an Bedeutung: Lebensmittel in der Nähe des Wohn- und Arbeitsorts und zu (fast) jeder Zeit einkaufen zu können, wird noch wichtiger.
4. Kommunikationskompetenz birgt Chancen: Läden können mit neuer Ladengestaltung und zusätzlichen Dienstleistungen neue Kommunikationsplattformen schaffen.
5. Mehr Schnittstellen zur Gastronomie: Im Handel wird das Sortiment zum Direktverzehr ausgebaut, umgekehrt bieten Gastronomen ausgewählte Lebensmittel zum Verkauf an.
6. Hypermarkt steht vor langsamem Abstieg: Online-Kanäle, immer teurere Mobilität und der Trend zu urbanem Wohnen sprechen gegen große Einkaufszentren auf der grünen Wiese.
7. Multifunktionale Ladenkonzepte bieten sozialen Mehrwert: Je nach Tageszeit unterschiedlich nutzbare Ladenflächen werden sukzessive an Bedeutung gewinnen.
8. Kunden- und Mitarbeitergesundheit sind Erfolgsfaktoren: Für den Lebensmitteleinzelhandel wird es wichtig werden, das Thema Gesundheit über das Angebot „gesunder“ Produkte hinaus konzeptionell auszuweiten.
9. Emotionalität ist wichtiger als Effizienzoptimierung: Emotion ist der stärkste Wettbewerbsvorteil im Effizienzwettbewerb. Erlebnisse und Kontakte entsprechen den Bedürfnissen der Kunden.
10. Individualisierung des Genusses mit Flagship-Stores: Während standardisierte Produkte in die Online-Welt abwandern, werden in den Läden Flächen für Spezialitäten-Shops mit Naturprodukten frei.
Zur PDF-Datei mit der 46-seitigen KPMG-Studie schalten wir hier einen Link.
Die Hinwendung zu Kleinflächen und zum Nahbereich, so KPMG und GDI in ihrer Studie, finde aktuell bereits bei vielen Handelsunternehmen statt und werde sich weiter fortsetzen. Je stärker dieser Trend von den Konsumenten in Verbindung mit einer Rückbesinnung auf das Tante-Emma-Format vergangener Jahrzehnte gebracht werde, desto stärker würden unabhängige Kaufleute oder auch nachbarschaftliche Communities die Entwicklung prägen.
„Mit den demografischen Trends, dem Trend zu mehr Convenience, mehr Frische und mehr Regionalität sind ganz klar kleinflächigere Formate begünstigt“, sagte Ernst Dieter Berninghaus, Mitglied der Generaldirektion Migros-Genossenschafts-Bund (die Migros-Gruppe ist das größte Einzelhandelsunternehmen der Schweiz mit rund 87.500 Mitarbeitern), den Studienverfassern. „Diese Formate sind convenience- und frische-lastig – Non-Food spielt dabei keine Rolle. Nähe und Erreichbarkeit gewinnen. Täglicher Einkauf beim Nahversorger ist ein Erlebnis an und für sich. Der Laden ist eine Begegnungsstätte.“
Nach Überzeugung von GDI und KPMG werde der Lebensmitteleinzelhandels-Konsum im Jahr 2025 vordringlich durch die Kundensehnsucht nach Wärme, (Selbst-)Erfüllung und menschlicher Beziehung geprägt sein. Der Lebensmittelhandel in Deutschland und der Schweiz werde in Zukunft viel sozialer sein als heute. Im Zentrum stehe der individuell bekannte Kunde. Schlüssel zu ihm sei der kontinuierliche Dialog.
„Es gibt immer mehr ältere Leute, die einsamer werden. Das Einkaufen hilft, persönlichen Austausch zwischen Menschen zu fördern“, so Roland Berner, Head of Strategy & Business Development, REWE Group, im Gespräch mit KPMG und GDI. „Die Langsamkeit, die Nähe und die persönliche Bekanntschaft werden wieder einen größeren Stellenwert im Lebensmitteleinzelhandel bekommen.“
Aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland werde die Ladendichte abnehmen, schätzt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer der Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels, die Entwicklung ein. Regionen, die heute noch über eine sehr gute Einzelhandelsstruktur verfügten, würden diese verlieren, weil die Einwohnerdichte nicht mehr gegeben sei. Auf dem Land entstünden neue Chancen für eine Bündelung von Service-Dienstleistungen mit Einzelhandelsfunktionen. Service- und Gesundheitszentren oder Arztpraxen, vielleicht auch nur temporär in Betrieb, zusammen mit Handelsleistungen.
Seinen eigentlichen Kompetenzvorsprung in Sachen Kundennähe müsse der stationäre Lebensmitteleinzelhandel laut KPMG und GDI dort unter Beweis stellen, wo er sein Alleinstellungsmerkmal habe: im Laden, in der direkten Beziehung zwischen Händler und Kunde, zwischen Käufer und Verkäufer.
Dort liege einer der wichtigsten Gründe für die Renaissance des Nachbarschaftsladens: Er biete eine persönliche Beziehung, die keiner der anonymen Anbieter im Netz oder auf der grünen Wiese bieten könne.
„Die Studie bestätigt eindrucksvoll, dass wir mit dem Projekt MarktTreff bereits seit Jahren auf dem richtigen Weg sind“, sagt Hermann-Josef Thoben vom schleswig-holsteinischen Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (MELUR).
Quelle: www.markttreff-sh.de